Die Beteiligten streiten, ob die Anschaffung eines Spezialcomputers mit Vorlesefunktion durch den blinden Kläger als außergewöhnliche Belastung nach § 33 Einkommensteuergesetz - EStG - anzusehen ist.
Die Kläger sind zusammenveranlagte Eheleute. Der Kläger ist blind.
Gemäß Rechnung vom 05.07.1996 erwarb der Kläger bei der Firma ... ... in
S. das Gerät "Lesephon Bl-Euro- Profi", bestehend aus: Pentium 166 Tower, 16
MB RAM, Festplatte 1,7
GB, Laufwerk 3,5 Zoll/1,44
MB,
CD-
ROM internes Laufwerk 6fach speed, 1x parallele, 2x serielle Schnittstellen, Graphikkarte 2
MB,
MS-DOS 6.22, Windows for Workgroups 3.11, Monitor 14 Zoll, strahlungsarm nach Schwedennorm/MPR II, Tastatur 102 Tasten, Hochleistungstexterkennung in der Euro-Version, Umschaltung auf verbesserte Erkennung nur von Deutsch und Englisch, HP Scanjet 4c Flachbett-Scanner mit 600 dpi optischer Auflösung, Erkennung von
ca. 2 unktgrößen, 256 Graustufen, automatische Schriftrichtungs-, Kontrast- und Spaltenerkennung, Einzelblatteinziehung, Stapelverarbeitung, deutsche und englische high-quality-Sprachausgabe, Hör-Menü mit Parametereinstellung und alphab. Bibliotheksverwaltung, Multitasking - Erkennung läuft im Hintergrund während des Vorlesens bereits erkannter Dokumente -, neu: optimierte Oberfläche und 1-Tasten-Automatik für 21.213,50 DM Netto sowie einen "Videotextdecoder mit Sprachsteuerung" für 700 DM Netto. Ferner wurden dem Kläger für "1/2 Tag Uminstallation Software" 500 DM Netto und für "1 Tag Auslieferung/Einweisung" 1.000 DM Netto, insgesamt also 23.413,50 DM Netto zuzüglich 15 % Mehrwertsteuer,
d. h. 26.925,53 DM in Rechnung gestellt.
Mit ihrer Einkommensteuererklärung machten die Kläger außergewöhnliche Belastungen nach § 33 EStG
u. a. durch die Aufwendungen für den Computer in Höhe einer hälftigen AfA-Rate von 2.693 DM geltend, wobei sie von einem Absetzungszeitraum von fünf Jahren ausgingen. Ferner setzten sie als außergewöhnliche Belastung Computerzubehör (Fachliteratur, Druckerpapier, Disketten, ein elektronisches Adressverzeichnis,
CD-Box, Reinigungsmittel, Tastaturschoner) für insgesamt 1.006,63 DM an.
Mit dem streitgegenständlichen Einkommensteuerbescheid 1996 vom 30.07.1997 berücksichtigte der Beklagte diese Aufwendungen nicht als außergewöhnliche Belastung, da der Computer nur der Bewältigung des Schriftverkehrs diene. Solche Aufwendungen seien mit dem Behindertenpauschbetrag abgegolten. Die Einkommensteuer wurde auf 11.644 DM und der Solidarzuschlag auf 873, 30 DM festgesetzt. Dabei wurden andere Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG anerkannt, die nach § 33
Abs. 3 EStG um 5 % des Gesamtbetrags der Einkünfte (zumutbare Belastungen) vermindert wurden.
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren (Einspruchsentscheidung vom 11.09.1998) verfolgen die Kläger die Anerkennung der Aufwendungen für den Blindencomputer als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG mit ihrer Klage vom 09.10.1998 weiter.
Am 16.08.2000 hat der Beklagte auf Anregung des Gerichts die streitgegenständliche Anlage in der klägerischen Wohnung besichtigt. Der Kläger hat den Computer dabei vorgeführt. Dabei ist festgestellt worden, dass die Computeranlage aus einem herkömmlichen Bildschirm, einer normalen Tastatur, einer Maus, Lautsprechern, einem Scanner und einer großen Zentraleinheit besteht. Zusätzlich ist ein Bord angeschlossen, worauf jeweils eine Zeile in Blindenschrift ausgegeben werden kann, das der Kläger aber erst im Jahr 1999 angeschafft hat. Besondere Bedeutung bei der Arbeit am Computer kommt dem Scanner und den Lautsprechern (3 Stück) zu. Der Kläger bewegt sich mittels der normalen Tastatur im Menü des
PC's. Der Computer ist nicht mit der Funktion "Spracherkennung", welche diktierte Texte in Schriftform umsetzt, ausgerüstet. Im Wege der Sprachausgabe kann sich der Kläger seine Schritte und sämtliche vorhandenen Texte vom Computer vorlesen lassen,
z. B. bei Textseiten des Internets (Tageszeitung) und bei der Kommunikation über E-Mail. Der Kläger hat die Möglichkeit, Schriftstücke bis hin zu Büchern auf dem Scanner einzulesen und über die Sprache ausgeben zu lassen.
Die Kläger tragen vor, eine (teilweise) berufliche Nutzung des Computers erfolge nicht. Ferner sei der Blindencomputer ein reines Sprachausgabegerät. Ein Schreiben über Spracherkennung sei nicht möglich. Aus diesem Grunde könne ein Nutzen für Nichtbehinderte ausgeschlossen werden. Die Klägerin verwende das Gerät nicht.
In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger zum Teil unter Berichtigung des bisherigen Sachvortrags seines vormaligen Prozessbevollmächtigten weiter ausgeführt, er nutze den Computer, um sich seine nicht handschriftliche Post, Artikel aus der Tageszeitung und Zeitschriften sowie Bücher vorlesen zu lassen. Mit dem Videotextdecoder könne er ferner den von TV-Sendern ausgestrahlten Videotext in das Gerät einspeisen und sich die Inhalte vorlesen lassen. 1996 sei es nicht möglich gewesen, den Computer zur Textverarbeitung zu nutzen. Es sei zwar ein einfaches Textverarbeitungsprogramm installiert gewesen. Den sog. Screenreader, eine Überwachungssoftware für den Bildschirm, die ihm akustisch mitteile, welche Eingaben (Befehle) das Programm von ihm erwarte, habe er erst 1999 im Rahmen einer ärztlich verordneten Erweiterung der Anlage angeschafft. Die Kosten dieser Erweiterung habe die Krankenkasse getragen. An der Anschaffung des Gerätes im Jahr 1996, das ebenfalls ärztlich verordnet gewesen sei, habe sich die Krankenkasse nicht beteiligt, da diese ihm bereits 1992 ein sog. "Lesephon Portabel", ein tragbares Laptopsystem mit Vorlesefunktion, auf ärztliche Verordnung finanziert habe. Zu diesem System habe er selbst einen Nadeldrucker erworben, der auch 1996 dort angeschlossen geblieben sei, weil mit dem Laptop für ihn die Textverarbeitung auf Grund eines dort vorhandenen Screenreaders möglich gewesen sei. Zu der Neuanschaffung 1996 sei es gekommen, da die Vorlesefunktion des Laptops auf Grund von Verwacklungen beim Scannen mittels Handscanner und auf Grund des technischen Standards völlig unbefriedigend gewesen sei. Für die Textverarbeitung sei der Laptop aber bis 1999 weiter genutzt worden. Die der Krankenkasse 1996 vorgelegte ärztliche Verordnung habe diese einbehalten.
Nachdem die Kläger mit ihrer Klage zunächst für die Computeranlage lediglich eine AfA-Rate i.H.v. 2.693 DM zuzüglich der Zubehörkosten i.H.v. 1.006,63 DM geltend gemacht haben, beantragen sie zuletzt,
den Einkommensteuerbescheid 1996 vom 30.07.1997 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11.09.1998 dahingehend zu ändern, daß die Steuer unter Berücksichtigung der Aufwendungen für den Blindencomputer in Höhe von 26.925,53 DM als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG entsprechend vermindert festgesetzt wird.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung führt er aus, die Aufwendungen für einen Computer würden keine als außergewöhnliche Belastung abziehbaren unmittelbaren Krankheitskosten wie für Arznei-, Heil-, und Hilfsmittel, wie Brillen und Rollstühle darstellen. Aufwendungen für einen Computer seien allenfalls Aufwendungen für mittelbare Krankheitskosten, die nur gelegentlich oder als Folge einer Krankheit entstünden. Bei der Definition "Linderung des Leidens" sei die strafrechtliche Definition der Heilbehandlung zugrunde zu legen. Die Linderung eines Leidens erfordere daher einen medizinisch indizierten Eingriff. In diesem Sinne diene die Anschaffung eines Computers nicht der Linderung, wie der Bundesfinanzhof bereits in einem vergleichbaren Fall entschieden habe (BFH-Urteil vom 4. März 1983
IV R 189/79, BStBl II 1983, 378). Vielmehr diene der Computer lediglich dazu, es dem Kläger zu ermöglichen, einen Teil seiner anfallenden Verrichtungen auszuführen und seine Lebensqualität zu verbessern.
Handle es sich um ein Hilfsmittel im weiteren Sinne, so sei die Anschaffung nur zwangsläufig, wenn die Notwendigkeit der Anschaffung durch ein amts- oder vertrauensärztliches Attest nachgewiesen werde (BFH-
Urteil vom 8. September 1991 III R 54/90, BStBl II 1991, 920). Ein solches Attest habe der Kläger nicht vorgelegt.
Der Berücksichtigung als außergewöhnliche Belastung stehe auch die sog. Gegenwerttheorie entgegen. Im Streitfall handele es sich um einen Computer, der nicht ausschließlich von Kranken angeschafft werde, sondern auch für Dritte, insbesondere für die Klägerin, von Nutzen sein könne, auch wenn der Computer eine Sonderausstattung für Sprachsteuerung und -erkennung enthalte. Zwar sei diese spezielle Software für einen Sehenden nicht erforderlich
bzw. sogar störend. Dessen ungeachtet hätten die Kläger einen Gegenwert für ihre Aufwendungen erworben. In der Abnutzung des Computers liege kein verlorener Aufwand im Sinne der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes. Die Tatsache, dass die Aufwendungen für den Computer zunächst über mehrere Jahre verteilt worden seien, sei vielmehr ein Indiz dafür, dass ein Gegenwert erworben worden sei.
Schließlich sei die Zwangsläufigkeit der Aufwendung fraglich, da bereits 1992 ein vergleichbares, wenn auch weniger leistungsfähiges Gerät angeschafft worden sei.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Rechtsbehelfsakte des Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die Zulässigkeit der Klage begegnet auch im Hinblick auf die nachträgliche betragsmäßige Erweiterung des klägerischen Begehrens keinen Bedenken. Die betragsmäßige Klageerweiterung ist nach § 155 Finanzgerichtsordnung - FGO -
i.V.m. § 264
Nr. 2 Zivilprozessordnung -
ZPO - keine Klageänderung. Auch die Tatsache, dass die Frist des § 47 FGO im Zeitpunkt der betragsmäßigen Erweiterung des Begehrens bereits abgelaufen war, steht der Zulässigkeit der Klage auch hinsichtlich des Erhöhungsbetrages nicht entgegen. Der Einkommensteuerbescheid 1996 ist nicht teilbestandskräftig geworden. Mit dem sich aus der Klageschrift ergebenden Begehren will der Kläger im Einkommensteuerrecht regelmäßig nur die betragsmäßigen Auswirkungen andeuten und sich nicht auf eine Teilanfechtung des Einkommensteuerbescheids beschränken (
vgl. Beschluss des Großen Senats des Bundesfinanzhofs vom 23. Oktober 1989 GrS 2/87, BStBl II 1990, 327).
Die Klage hat auch in der Sache Erfolg. Der streitgegenständliche Steuerbescheid in Form der Einspruchsentscheidung ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten, § 100
Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 FGO. Zu Unrecht hat der Beklagte die Aufwendungen des Klägers für einen Blindencomputer in Höhe von 26.925,53 DM nicht als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG anerkannt. Von daher ist auf das Änderungsbegehren der Kläger die Einkommensteuer entsprechend festzusetzen; die Berechnung wird dem Beklagten aufgegeben, § 100
Abs. 2 Satz 2 FGO.
Nach § 33
Abs. 1 EStG wird auf Antrag die Einkommensteuer dadurch ermäßigt, dass der Teil der Aufwendungen, der die dem Steuerpflichtigen zumutbare Belastung (§ 33
Abs. 3 EStG) übersteigt, vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen wird, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung) erwachsen.
1. Die Aufwendungen des Klägers sind zwangsläufig i.
S. dieser Vorschrift erwachsen.
Nach § 33
Abs. 2 Satz 1 EStG sind Aufwendungen zwangsläufig, wenn der Steuerpflichtige sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen und sittlichen Gründen nicht entziehen kann, soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen. Diese Voraussetzungen sind erfüllt, wenn die vorstehend aufgezählten Gründe der Zwangsläufigkeit von außen derart auf die Entscheidung eines Steuerpflichtigen einwirken, dass er ihnen nicht auszuweichen vermag (ständige Rechtsprechung,
vgl. BFH- Urteile vom 27. Oktober 1989 III R 205/82, BStBl II 1990, 294,
m.w.N. und vom 9. August 1991 III 54/90, BStBl II 1991, 920).
Krankheitsbedingte Maßnahmen und die dadurch veranlaßten Aufwendungen sind regelmäßig aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig, soweit sie entweder der Heilung dienen oder den Zweck verfolgen, die Krankheit - in der Person des Kranken - erträglich zu machen (
vgl. BFH-Urteile vom 20. November 1987 III R 296/84, BStBl II 1988, 137 und vom 13. Februar 1987 III R 208/81, BStBl II 1987, 427 und vom 9. August 1991, a.a.O.). In diesem Sinne werden auch Aufwendungen für medizinische Hilfsmittel typisierend als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt (
vgl. BFH-Urteile vom 17. Juli 1981 VI R 77/78, BStBl II 1981, 711 und vom 26. Juli 1957 VI 155/55 U, BFHE 65, 298 und vom 8. April 1954
IV 345/53 U, BStBl III 1954, 174 und vom 9. August 1991, aaO). Der nach § 33
Abs. 2 Satz 1 EStG gebotenen Prüfung der Zwangsläufigkeit der Aufwendungen dem Grunde und der Höhe nach bedarf es dann nicht (
vgl. BFH-Urteil vom 20. März 1987 III R 150/86, BStBl II 1987, 596 und vom 9. August 1991, a.a.O.). Keine außergewöhnliche Belastung wird allerdings durch Aufwendungen für solche Maßnahmen begründet, die nicht unter den Begriff der Heilbehandlung im hier maßgeblichen Sinne fallen. Nur vorbeugende, der Gesundheit ganz allgemein dienende Maßnahmen oder die mit einer Krankheit verbundenen Folgekosten erwachsen nicht zwangsläufig (
vgl. BFH-Urteile vom 6. April 1990 III R 60/88, BStBl II 1990, 958 und vom 2. März 1984 VI R 158/80, BStBl II 1984, 484 und vom 20. März 1987, a.a.O.).
Bei der Beurteilung der Frage, ob Krankheitskosten oder lediglich gesundheitsfördernde Vorbeuge- oder Folgekosten vorliegen, ist von folgendem auszugehen: Bei der Anschaffung von Hilfsmitteln, die wie Brillen, Hörapparate, Rollstühle
etc. nach der Lebenserfahrung ausschließlich von Kranken angeschafft werden und bei denen häufig eine Anpassung an die individuellen Gebrechen eines Steuerpflichtigen erforderlich ist, kann typisierend davon ausgegangen werden, dass ihr Kauf medizinisch indiziert ist (sog. Hilfsmittel im engeren Sinne) (
vgl. BFH-Urteil vom 9. August 1991, a.a.O.). Bei Hilfsmitteln im weiteren Sinne aber, die, wie beispielsweise Gesundheitsschuhe oder -sandalen, orthopädische Stühle,
etc. teilweise auch von gesunden Steuerpflichtigen aus Gründen der Vorsorge oder zur Steigerung des Lebensstandards gekauft werden, ist die Vorlage eines zeitlich vor der Aufwendung erstellten amts- oder vertrauensärztlichen Attests, dem sich zweifelsfrei entnehmen läßt, dass die den Aufwendungen zugrundeliegende Maßnahme medizinisch indiziert ist, erforderlich (
vgl. BFH-Urteile vom 11. Dezember 1987 III R 95/85, BStBl II 1988, 275 und vom 14. Februar 1980 VI R 218/77, BStBl II 1980, 295 und vom 13. Februar 1987, a.a.O.).
a. Bei der Anschaffung des Blindencomputers durch den Kläger handelt es sich um eine krankheitsbedingte Maßnahme, da sich das Gerät als medizinisches Hilfsmittel im engeren Sinn darstellt.
Der Computer ist, vergleichbar den vom Bundesfinanzhof in seiner oben zitierten Entscheidung aufgezählten medizinischen Hilfsmitteln Brille, Hörapparat, Rollstuhl, ein Gegenstand, der nach der Lebenserfahrung ausschließlich von Kranken (Blinden) angeschafft wird. Anders als eine Brille oder ein Hörgerät dient er zwar nicht der Linderung des konkreten Leidens, dem Nicht-sehen-können. Der Blindencomputer verschafft dem Blinden zu geschriebenen Texten, die von Sehenden visuell durch Lesen aufgenommen werden, in anderer Weise Zugang, nämlich in Form der akustischen Sprachwiedergabe. Gleiches gilt aber auch für den Rollstuhl, den der Bundesfinanzhof typisierend als medizinisches Hilfsmittel im engeren Sinn nennt. Der Rollstuhl macht den Lahmen nicht gehend, sondern hilft ihm, sich auf andere Weise fortzubewegen, nämlich durch Fahren. Auch war der Blindencomputer in seiner Ausstattung im Streitjahr 1996 dem zur Überzeugung des erkennenden Senats glaubhaften Vortrag der Kläger zufolge allein zum Vorlesen von Printmedien und Videotextseiten verwendbar,
d. h., in einer Funktion, die - wie auch der Beklagte einräumt - für einen Sehenden nicht erforderlich
bzw. sogar störend ist. Zur Abwicklung des häuslichen Schriftverkehrs, zu der auch ein Sehender einen Privatcomputer regelmäßig einsetzt, diente nur das 1992 von der Krankenkasse finanzierte und hier nicht streitgegenständliche "Lesephon Portabel", an den der vorhandene Nadeldrucker angeschlossen blieb. Andere Anwendungsbereiche, in denen der Blindencomputer in seiner ursprünglichen Ausstattung Verwendung hätte finden können, sind nicht ersichtlich.
Eine getrennte Betrachtung der einzelnen Komponenten der 1996 angeschafften Anlage und ihre Aufteilung in "normale" Computerbestandteile und spezielle Blindenhardware und Blindensoftware ist vorliegend nicht angezeigt. Zwar besteht der Blindencomputer bis auf den Spezialscanner, die Hochleistungstexterkennung, das Sprachausgabeprogramm und den Videotextdecoder aus Geräten und Programmen, die zu jeder marktgängigen
PC- Anlage gehören können. Gleichwohl stellt sich das "Lesephon Bl-Euro-Profi" als Ganzes als medizinisches Hilfsmittel im engeren Sinn dar. Wie dargelegt war der Blindencomputer in seiner konkreten Zusammenstellung und Ausstattung im Jahr 1996 allein als Vorlesemaschine verwendbar. Ferner wurde die Anlage bis auf den Videotextdecoder, der sich ohnehin als Spezialgerät für Blinde darstellt, als Ganzes in einem Spezialgeschäft für Sehbehinderte und Blinde erworben. Die Inrechnungstellung der Sachgesamtheit "Lesephon Bl-Euro-Profi, bestehend aus: ..." zu einem einheitlichen Preis macht deutlich, dass im Gegensatz zu "normalen" Computeranlagen der Blindencomputer als Ganzes durch ein Spezialgeschäft auf dem dafür vorhandenen speziellen Markt gehandelt wird und nicht eine individuelle Zusammenstellung der einzelnen Komponenten, wie am allgemeinen Markt üblich, erfolgt ist. Diese Marktgepflogenheit kann auch steuerrechtlich nicht dadurch ignoriert werden, dass aus dem Blindencomputer eine nicht abziehbare "normale" Computeranlage und als außergewöhnliche Belastung abziehbare Aufwendungen für den Hochleistungsscanner und die Spezialsoftware gemacht werden. Hinzu kommt, dass eine "normale" Computeranlage mit den der klägerischen entsprechenden Komponenten, wie gerichtsbekannt ist, im Streitjahr 1996 lediglich einen Marktwert von 3.000 DM bis 4.000 DM Brutto hatte. Im Gegensatz hierzu kostete das streitgegenständliche Lesephon Bl-Euro-Profi allein 21.213,50 DM Netto. Nach der Lebenserfahrung
i.S.d. oben zitierten Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes würde ein Sehender die streitgegenständliche Computeranlage allein wegen des Preises nicht anschaffen. Das macht deutlich, dass der Schwerpunkt auf der konkreten blindengerechten Ausstattung liegt. Schließlich sind die im Zusammenhang mit der Auslieferung erbrachten und in Rechnung gestellten Dienstleistungen (1/2 Tag Uminstallation, 1 Tag Auslieferung/Einweisung) bei einem marktgängigen Computer (Plug & Play) im Streitjahr nicht erforderlich gewesen.
Soweit der Bundesfinanzhof für das Vorliegen eines medizinischen Hilfsmittels im engeren Sinne neben dem Erfordernis, dass es sich um einen Gegenstand handeln muß, der nach der Lebenserfahrung ausschließlich von Kranken angeschafft wird, scheinbar kumulativ ("und") verlangt, dass eine häufige Anpassung an die individuellen Gebrechen des Kranken erforderlich ist (
vgl. BFH-Urteil vom 9. August 1991, a.a.O.), hält der erkennende Senat diese Formulierung für mißverständlich. Auch im Falle des vom Bundesfinanzhof exemplarisch genannten Rollstuhls ist eine häufige Anpassung an die individuellen Gebrechen zumindest bei einem ausgewachsenen Behinderten nicht erforderlich. Wenn der typische Krankheitsverlauf eine solche Anpassung erforderlich macht, spricht sicherlich vieles dafür, dass es sich um einen Gegenstand handelt, der nach der Lebenserfahrung ausschließlich von Kranken angeschafft wird. Wird aber ein Gegenstand nach der Lebenserfahrung ausschließlich von Kranken angeschafft, kann seine Eigenschaft als medizinisches Hilfsmittel im engeren Sinn nicht deshalb verneint werden, weil eine solche Anpassung, wie bei Rollstühlen für Erwachsene oder dem hier streitigen Blindencomputer, nicht häufig geboten ist.
b. Handelt es sich bei der Anschaffung des Blindencomputers mithin um eine krankheitsbedingte Maßnahme, sind die dem Kläger dadurch entstandenen Aufwendungen typisierend als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen. Ihre Zwangsläufigkeit aus tatsächlichen Gründen ist regelmäßig anzunehmen. Entgegen der Ansicht des Beklagten ergibt sich vorliegend nicht ausnahmsweise deshalb etwas anderes, weil der Kläger bereits 1992 eine ähnliche, wenn auch leistungsschwächere Anlage angeschafft hat. Der Kläger hat glaubhaft dargelegt, dass auf Grund des technischen Standards im Jahr 1992 und auf Grund von Verwacklungen beim Arbeiten mit einem Handscanner das Vorleseergebnis völlig unbefriedigend war und dass der Blindencomputer 1996 wieder ärztlich verordnet worden war. Zudem spricht für die Notwendigkeit, dass der Kläger auch ohne Beteiligung seiner Krankenkasse bereit war, die erheblichen Aufwendungen i.H.v. 26.925,53 DM aus eigener Tasche zu tragen.
2. Entgegen der Ansicht des Beklagten steht der Berücksichtigung der Aufwendungen für den Blindencomputer nicht die sog. Gegenwerttheorie entgegen. Die Gegenwerttheorie des Bundesfinanzhofes geht davon aus, dass von einer Belastung, deren steuerliche Nichtberücksichtigung offensichtlich eine Härte wäre, nicht gesprochen werden könne, wenn Teile des Einkommens für Gegenstände verwendet würden, die von bleibendem oder zumindest längerdauerndem Wert und Nutzen seien und die eine gewisse Marktgängigkeit besäßen (
vgl. Drenseck, a.a.O., § 33
Rdnr. 9
m.w.N.). Die Gegenwerttheorie ist aber bei medizinischen Hilfsmitteln nur dann anzuwenden, wenn es sich um ein medizinisches Hilfsmittel im weiteren Sinne handelt und der angeschaffte Gegenstand nicht ausschließlich dem Erkrankten selbst zu dienen bestimmt ist, sondern auch für Dritte von Nutzen ist (
vgl. BFH-Urteil vom 9. August 1991, a.a.O.; Drenseck, a.a.O., § 33
Rdnr. 11). Als Beispiele nennt der Bundesfinanzhof in der zitierten Entscheidung einen elektrischen Nachtspeicherofen oder eine Geschirrspülmaschine. Der Blindencomputer ist aber im Gegensatz dazu - wie dargelegt - ein medizinisches Hilfsmittel im engeren Sinn und dient ausschließlich dem Kläger.
3. Die Aufwendungen für den Computer sind nicht um die den Klägern nach § 33
Abs. 3
Nr. 1 Buchst. a Spalte 2 EStG i.H.v. 5 % des Gesamtbetrags der Einkünfte zumutbaren Belastungen zu kürzen, da dieser Kürzungsbetrag bereits mit anderen vom Finanzamt anerkannten außergewöhnlichen Belastungen verrechnet wurde.
4. Die Anerkennung der Aufwendungen für den Computer als außergewöhnliche Belastungen steht den Klägern auch neben dem vom Finanzamt anerkannten Blindenpauschbetrag nach § 33b
Abs. 1 und
Abs. 3 Satz 3 EStG i.H.v. 7.200 DM zu.
Nach § 33b
Abs. 1 EStG kann ein Behinderter wegen der außergewöhnlichen Belastungen, die ihm unmittelbar infolge seiner Behinderung erwachsen, anstelle einer Steuerermäßigung nach § 33 EStG einen Pauschbetrag geltend machen (Behinderten-Pauschbetrag). Nach § 33b
Abs. 3 Satz 3 EStG erhöht sich der Pauschbetrag für Hilflose und Blinde auf 7.200 DM.
Dem Wortlaut des § 33b
Abs. 1 EStG zufolge hat der Steuerpflichtige ein Wahlrecht, außergewöhnliche Belastungen entweder im einzelnen nachzuweisen und nach § 33 EStG abzuziehen, oder den Pauschbetrag nach § 33b EStG geltend zu machen. Der Bundesfinanzhof hat jedoch in ständiger Rechtsprechung neben dem Körperbehindertenpauschbetrag unter bestimmten Voraussetzungen gewisse mit der Körperbehinderung zusammenhängende Aufwendungen nach § 33 EStG zum Abzug zugelassen. Dazu gehören
z. B. Kfz-Aufwendungen schwer geh- und stehbehinderter (
vgl. BFH-Urteile vom 23. November 1961
IV 344/58 U, BStBl III 1962, 123, vom 28. Januar 1966 VI 66/65, BStBl III 1966, 291, und vom 1. August 1975 VI R 158/72, BStBl II 1975, 825); dabei handelt es sich zwar um laufende Aufwendungen des Körperbehinderten; sie werden jedoch als "zusätzliche Krankheitskosten" nicht von der Abgeltungswirkung des Pauschbetrags erfasst (
vgl. BFH-Urteil vom 17. Dezember 1965 VI 297/65 U, BStBl III 1966, 208). Darüber hinaus sind außerordentliche Kosten auch dann neben dem Pauschbetrag gesondert zu berücksichtigen, wenn sie zwar mit der Körperbehinderung zusammenhängen, sich jedoch infolge ihrer Einmaligkeit der Typisierung des § 33b EStG entziehen; denn die Pauschale dient nur der Abgeltung laufender und typischer Kosten, die mit der krankheitsbedingten Erwerbsminderung zusammenhängen (
vgl. BFH-Urteil vom 11. Dezember 1987 III R 95/85, BStBl II 1988, 275). Dagegen gilt der erhöhte Pauschsatz nach § 33b
Abs. 3 Satz 3 EStG bei Hilflosen alle Pflegekosten, auch die einer Heimunterbringung ab (
vgl. BFH- Urteil vom 10. Mai 1968 VI R 291/67, BStBl II 1968, 647). Das Finanzgericht München hat entschieden, dass von dem erhöhten Pauschbetrag nach § 33b
Abs. 3 Satz 3 EStG im Falle eines Blinden auch alle Kosten eines Blindenhundes,
d. h. Anschaffungskosten für Hund mit Führgeschirr, Flugkosten für Überführung sowie Futter- und Pflegekosten, erfasst seien, weil ein Blindenhund seit jeher, also schon bei der Schaffung der Pauschbeträge, als Gehhilfe für Blinde vermacht worden sei (
vgl. Urteil des FG München vom 16. November 1984 V 8/83 E,
EFG 1985, 390).
Bei den streitgegenständlichen Anschaffungskosten für den Computer handelt es sich um einmalige außerordentliche Kosten, die bei der Bemessung auch des besonderen erhöhten Pauschbetrags für Blinde nach § 33b
Abs. 3 Satz 3 EStG keine Berücksichtigung gefunden haben. Das ergibt sich bereits daraus, dass es die technischen Möglichkeiten, einen Computer zum Vorlesen einzusetzen und dabei ein befriedigendes Ergebnis zu erzielen, dem Vortrag des sachkundigen Klägers folgend, erst seit Mitte der 90er Jahre gibt. Seitdem wurde der Pauschbetrag für Blinde aber nicht neu festgesetzt. Auch die Tatsache, dass der Kläger seine Anlage mit dem technischen Fortschritt 1999 erweitert und verbessert hat, lässt die Aufwendungen für den Computer nicht als typische laufende Kosten der Blindheit erscheinen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135
Abs. 1 FGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151
Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1,
Abs. 3 FGO i.V.
m. §§ 708
Nr. 11 Alt. 2, 710 Zivilprozeßordnung -
ZPO - (
vgl. BFH-Entscheidung vom 15. April 1981
IV S 3/ 81, BStBl. II 1981, 402).
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen von
Art. 1
Nr. 5 BFH-Entlastungsgesetz - BFHEntlG -
i.V.m. § 115
Abs. 2 FGO nicht gegeben sind. Soweit es der Senat für die Annahme eines medizinischen Hilfsmittels im engeren Sinn nicht für erforderlich hält, dass eine häufige Anpassung an die individuellen Gebrechen des Steuerpflichtigen notwendig sein muß, weicht er nicht von dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 9. August 1991 III R 54/90 (a.a.O.) ab. Die Verwendung des Wortes "und" in diesem Urteil erscheint bei der gebotenen näheren Betrachtung mißverständlich. Aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe, insbesondere auf Grund des angeführten Beispiels "Rollstuhl" folgt, dass der Bundesfinanzhof ein medizinisches Hilfsmittel nicht nur dann für gegeben erachtet, wenn ein Gegenstand häufig an die individuellen Gebrechen eines Kranken angepaßt werden muß.