Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 28. Februar 2013 sowie der Bescheid der Beklagten vom 4. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. September 2010 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Kosten in Höhe von 1.428,00 Euro für den Ab- und Wiederaufbau der Umfeldsteuerung im April 2010 zu erstatten.
Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers für das gesamte Verfahren zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Der Kläger begehrt von der Beklagten Kostenerstattung in Höhe von 1.428,00 Euro für den Ab- und Wiederaufbau einer häuslich installierten Umfeldsteuerung.
Der im Jahre 1942 geborene Kläger, der bei der Beklagten krankenversichert ist, leidet infolge eines Fenstersturzes im Jahre 2006 und dabei erlittener Wirbelfrakturen unter einer Querschnittslähmung (Tetraplegie mit Lähmung von Armen und Beinen). Zum 1. April 2010 bezog er zum Zwecke der Mietkostensenkung eine neue Wohnung in Berlin. Seine alte Wohnung war auf Kosten der Beklagten mit einer Umfeldsteuerung als Hilfsmittel im Sinne von
§ 33 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch (SGB V) ausgestattet. Diese versetzt einen körperbehinderten Menschen in die Lage, bestimmte Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens selbständig zu nutzen. Der Betroffene sendet unter Mithilfe von
z. B. sprachgesteuerten Bedienungsmodulen Signale an ein Steuerungssystem (Umfeldkontrollgerät), welches dann Impulse an die Bedienungseinheiten weiterleitet, etwa an ein Telefon, an Sprechanlagen, an die Heizung, an Türöffner, an Lichtschalter oder Hilfsmittel wie behindertengerechte Betten oder Krankenfahrzeuge.
In Vorbereitung seines Umzuges beantragte der Kläger am 24. Februar 2010 unter Vorlage eines Kostenvoranschlages der
Fa. I
GmbH in Höhe von 1.428,00 Euro brutto bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für die Deinstallation der Umfeldsteuerung in der alten Wohnung und den Wiederaufbau in der neuen Wohnung.
Mit Bescheid vom 4. März 2010 lehnte die Beklagte eine Kostenübernahme ab. Die Veränderung des Umfelds eines Versicherten etwa aufgrund eines Umzuges begründe keine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Kosten fielen in den eigenverantwortlichen Bereich des Versicherten. Empfohlen werde,
ggf. einen Antrag bei dem zuständigen Sozialamt zu stellen.
Im April 2010 veranlasste der Kläger im Zuge seines Umzuges einen Wiederaufbau der Umfeldsteuerung in seiner neuen Wohnung auf zunächst eigene Kosten (Rechnung der I
GmbH vom 19. April 2010 über 1428,00 Euro).
Zur Begründung seines gegen den Ablehnungsbescheid der Beklagten erhobenen Widerspruchs führte der Kläger an, er sei auch nach seinem Umzug in die neue Wohnung auf das von der Beklagten als Sachleistung zur Verfügung gestellte Umfeldkontrollsystem "Easy by Voice" angewiesen. Die Beklagte sei verpflichtet, ihm das Hilfsmittel so zur Verfügung zu stellen, dass er es weiterhin nutzen könne. Der Umzug erfolge aus Kostengründen, weil er mit seinem Einkommen die derzeitige Wohnung nicht mehr halten könne. Letztlich billige ihm die Beklagte mit ihrer Haltung nicht zu, seinen Wohnsitz frei zu wählen. Er selbst sei weder physisch noch fachlich in der Lage, das Hilfsmittel zu demontieren und neu zu installieren. Auf der Grundlage von
§ 14 SGB IX sei die Beklagte zudem auch verpflichtet, seine sozialhilferechtlichen Ansprüche zu prüfen. Der Anspruch bestehe jedoch auf der Grundlage des
SGB V nach § 33
Abs. 1 Satz 4. Hier sei eine "notwendige Änderung" des Hilfsmittels durchzuführen. Die Umfeldsteuerung müsse an die neue Wohnsituation angepasst werden.
Mit Bescheid vom 28. September 2010 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Die Kosten für die Demontage und Neumontage von Hilfsmitteln seien nur dann von der Krankenkasse zu tragen, wenn diese Kosten behinderungsbedingt veranlasst seien oder medizinische Gründe vorlägen, die eine Demontage und Neumontage aus krankheitsbedingten Gründen erforderlich machten. Ein Umzug in eine kleinere und kostengünstigere Wohnung führe nicht zur Kostenübernahmepflicht. Aus den gleichen Gründen komme auch eine Leistungsgewährung nach den Vorschriften des
SGB XII nicht in Betracht. Die durch einen Wohnungswechsel entstehenden Montagekosten für ein Hilfsmittel fielen in den eigenverantwortlichen Bereich.
Mit der am 21. Oktober 2010 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er habe einen Anspruch auf Kostenerstattung nach
§ 13 Abs. 3 SGB V. Sein Leistungsanspruch gegenüber der Beklagten ergebe sich aus § 33
Abs. 1 Satz 4
SGB V. Hilfsweise würden Ansprüche aus dem
SGB XII geltend gemacht.
Mit rechtlichem Hinweis vom 16. Oktober 2012 hat das Sozialgericht Berlin mitgeteilt, dass das dem Kläger und seiner Ehefrau zustehende Nettoeinkommen in Höhe von 1.440,77 Euro die Einkommensgrenze nach dem
SGB XII um 5,67 Euro übersteige und daher wegen fehlender Bedürftigkeit Leistungen aus dem Sozialhilferecht nicht beanspruchbar seien.
Mit Urteil vom 28. Februar 2013 hat das Sozialgericht Berlin die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Ein Anspruch auf Kostenerstattung bestehe nicht, weil die Ablehnung des Leistungsantrages durch die Beklagte rechtmäßig gewesen sei. Insbesondere folge eine Leistungspflicht der Beklagten für Hilfsmittel nicht aus § 33
Abs. 1 Satz 4
SGB V. Danach umfasse der Anspruch auf Hilfsmittel auch die notwendige Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung von Hilfsmitteln, die Ausbildung in ihrem Gebrauch und, soweit zum Schutz der Versicherten vor unvertretbaren gesundheitlichen Risiken erforderlich, die nach dem Stand der Technik zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit und der technischen Sicherheit notwendigen Wartungen und technischen Kontrollen. Von der Leistungspflicht umfasst seien danach Änderungen, Instandsetzung, Ersatzbeschaffung, Ausbildung im Gebrauch sowie Wartungen und technische Kontrollen. Der Ab- und Wiederaufbau der Umfeldsteuerung anlässlich des Umzuges in eine preiswertere Wohnung unterfalle keiner dieser Alternativen. Ein sozialhilferechtlicher Anspruch bestehe daneben nicht, weil der Kläger insoweit nicht bedürftig sei.
Gegen das ihm am 11. März 2013 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung des Klägers vom 11. April 2013. Er hält an seiner Rechtsauffassung fest, dass anlässlich des Umzuges eine Kostenübernahmepflicht der Beklagten auf der Grundlage von § 33
Abs. 1 Satz 4
SGB V bestanden habe.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 28. Februar 2013 sowie den Bescheid der Beklagten vom 4. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. September 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Kosten in Höhe von 1.428,00 Euro für den Ab- und Wiederaufbau der Umfeldsteuerung im April 2010 zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die mit der Berufung angegriffene erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Am 8. Juli 2015 hat der Berichterstatter den Rechtsstreit mündlich mit den Beteiligten erörtert. Die Beteiligten haben ihr Einverständnis zu einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs Bezug genommen, der, soweit wesentlich, Gegenstand der Erörterung in der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung war.
Im Einverständnis der Beteiligten durfte der Senat über die Berufung im schriftlichen Verfahren ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden (§ 124
Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG])
Die Berufung des Klägers ist zulässig und begründet. Er hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung von Kosten in Höhe von 1.428,00 Euro. Zu Unrecht hat daher das Sozialgericht Berlin die Klage abgewiesen.
Rechtsgrundlage des Kostenerstattungsanspruchs ist § 13
Abs. 3 Satz 1
SGB V: "Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit diese Leistung notwendig war." Die erste Variante betrifft Fälle, in denen die Krankenkasse außerstande sein muss, eine dringend benötigte medizinische Leistung rechtzeitig als Sachleistung zu erbringen; sie liegt ersichtlich nicht vor und wird vom Kläger auch nicht geltend gemacht. Die zweite Variante betrifft die rechtswidrige Ablehnung eines Leistungsantrages durch die Krankenkasse, die dann ursächlich für die Entscheidung des Versicherten sein muss, sich die benötigte medizinische Leistung auf eigene Kosten zu beschaffen. Die Voraussetzungen dieser zweiten Variante sind hier erfüllt, denn die Beklagte hat eine Übernahme der Kosten für die Deinstallation der Umfeldsteuerung in der alten Wohnung und den Wiederaufbau in der neuen Wohnung des Klägers rechtswidrig abgelehnt.
Die Rechtsgrundlage für einen Anspruch des Klägers auf Kostenübernahme besteht in § 33
Abs. 1 Satz 1
i.V.m. Satz 4
SGB V:
"1 Versicherte haben Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach
§ 34 Abs. 4 ausgeschlossen sind. (...) 4 Der Anspruch umfasst auch die notwendige Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung von Hilfsmitteln (...)."
§ 33
Abs. 1 Satz 4
SGB V räumt einem Betroffenen mit dem Anspruch auf "Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung von Hilfsmitteln" insoweit keine isoliert zu betrachtende Rechtsposition ein (
vgl. hierzu Bundessozialgericht, Urteil vom 12. September 2012,
B 3 KR 20/11 R, zitiert nach juris, dort
Rdnr. 9). Systematisch ist die Regelung vielmehr ausschließlich in Bezug auf den Primäranspruch des § 33
Abs. 1 Satz 1
SGB V zu sehen, der die Versorgung mit Hilfsmitteln gewährleistet, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen. Diese im Einzelfall notwendigen Hilfsmittel haben die Krankenkassen den Versicherten unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots nach
§ 12 Abs. 1 SGB V als Sachleistung zur Verfügung zu stellen, soweit weder das
SGB V noch das
SGB IX etwas Abweichendes vorsehen (vgl
§ 2 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 SGB V). Teil dieser Leistungspflicht sind demgemäß jedenfalls auch die notwendigen Maßnahmen bei einem Defekt oder der sonstigen Störung eines Hilfsmittels. Daher sieht § 33
Abs. 1 Satz 4
SGB V ausdrücklich vor, dass "der Anspruch" - gemeint ist der Anspruch nach § 33
Abs. 1 Satz 1
SGB V - auch die notwendige Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung von Hilfsmitteln umfasst.
Den "Primäranspruch" des Klägers auf Versorgung mit einer sprachgesteuerten Umfeldsteuerung in seiner Wohnung hatte die Beklagte im Jahre 2007 erfüllt, indem sie die Umfeldsteuerung und ihren Einbau in der (alten) Wohnung des Klägers als Sachleistung zur Verfügung stellte. Eine sprachgesteuerte Umfeldsteuerung dient dem Behinderungsausgleich nach § 33
Abs. 1
SGB V und kann deshalb grundsätzlich - was auch zwischen den Beteiligten unstreitig ist - Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung sein (
vgl. Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 4. Dezember 2013,
L 4 P 28/08, zitiert nach juris, dort
Rdnr. 42). Denn dem Versorgungsziel "Behinderungsausgleich" genügen nicht nur diejenigen Hilfen, die dem unmittelbaren Ersatz der ausgefallenen Funktionen selbst dienen. Ziel der Hilfsmittelversorgung zum Zwecke des Behinderungsausgleichs ist es auch, die direkten und indirekten Folgen einer Behinderung auszugleichen, soweit die Auswirkungen der Behinderung im täglichen Leben beseitigt oder gemildert werden und damit ein Grundbedürfnis des täglichen Lebens betroffen ist, wozu auch das selbständige Wohnen zählt. Durch die von der Beklagten zur Verfügung gestellte sprachgesteuerte Umfeldsteuerung wird die verbliebene Fähigkeit des Klägers sichergestellt, die Wohnung so selbständig wie möglich zu nutzen. So kann er über die sprachgesteuerte Umfeldsteuerung beispielsweise elektrische Geräte einschalten oder die Außentüren (Balkon, Ausgang) öffnen.
Einen Anspruch des Klägers auf Versorgung mit einer sprachgesteuerten Umfeldsteuerung nach § 33
Abs. 1 Satz 1
SGB V darf der Senat daher als gegeben voraussetzen. Dieser Primäranspruch zieht einen Anspruch des Klägers darauf nach sich, dass die Beklagte die Kosten auch für die Deinstallation der Umfeldsteuerung in der alten Wohnung und den Wiederaufbau in der neuen Wohnung übernimmt. Das ergibt sich aus § 33
Abs. 1 Satz 4
SGB V, denn zur Überzeugung des Senats handelt es sich bei der umzugsbedingten Mitnahme der Umfeldsteuerung um eine "Änderung" des Hilfsmittels in Gestalt der Anpassung an die geänderten Wohnverhältnisse. Jede andere Sichtweise hätte zur Folge, dass der Anspruch des Klägers auf Versorgung mit dem funktionsfähigen Hilfsmittel vereitelt würde. Es liegt in der Natur der Sache und entspricht dem Zweck von § 33
Abs. 1 Satz 4
SGB V, dass die Krankenkasse ein bewilligtes Hilfsmittel als Sachleistung ändern muss, wenn es nicht mehr den Anforderungen entspricht; "Änderungen" betreffen die Anpassung des Hilfsmittels an veränderte Bedürfnisse des Versicherten (
vgl. BeckOK SozR/Knispel
SGB V § 33
Rdnr. 45; KassKomm/Nolte
SGB V § 33
Rdnr. 53). Darunter kann ohne Weiteres der hier gegebene Umzugsfall subsumiert werden, denn dieselbe technische Anlage wird an einem anderen Ort als zuvor gebrauchsfähig gemacht und insofern "geändert"; dies gilt jedenfalls dann, wenn ein Versicherter - wie hier - nicht beliebig oft und nicht unter rechtsmissbräuchlicher Außerachtlassung der für die Krankenkasse entstehenden Folgekosten umzieht, sondern einmalig zum Zwecke der Mietkostensenkung. Von dieser Freiheit (siehe auch
Art. 11
Abs. 1 des Grundgesetzes) darf jeder behinderte Mensch Gebrauch machen, ohne seinen Anspruch auf Versorgung mit einer Umfeldsteuerung aufs Spiel zu setzen. Anders als die Beklagte meint, fallen die hier streitigen Kosten damit nicht in den "eigenverantwortlichen Bereich"; die Beklagte hatte sie vielmehr zu übernehmen, um den unstreitigen Anspruch des Klägers auf Versorgung mit der Umfeldsteuerung auch unter geänderten örtlichen Umständen zu gewährleisten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache, § 160
Abs. 2
Nr. 1
SGG, hat der Senat die Revision zugelassen.