Die Beteiligten streiten um die Zurverfügungstellung eines Umfeldkontrollsystems.
Der 1951 geborene Kläger ist bei der Beklagten gegen Krankheit versichert. Er leidet an multipler Sklerose, was zu einer inkompletten Lähmung der Gliedmaßen (Tetraparese) geführt hat. Die Ausführung eines Knopfdruckes mit den Händen bzw Fingern ist ihm daher unmöglich. Er erhält Leistungen der Pflegestufe III aus der gesetzlichen Pflegeversicherung.
Am 09.11.2000 stellte er einen Antrag auf Zurverfügungstellung eines Umfeldkontrollsystems unter Vorlage einer Verordnung von
Prof. Dr. ... (Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapie). Dazu überreichte er einen Kostenvoranschlag der ... über ein NEMO-Umfeldkontrollsystem mit Sprachsteuerung einschließlich Zubehör und Installationspaket in Höhe von insgesamt 12.334,28 DM.
Die Beklagte ließ unter dem 01.02.2001 ein Gutachten des MDK erstellen, wonach das Umfeldkontrollsystem unter Beachtung des vorliegenden Krankheitsbildes individuell notwendig ist. Daraufhin legte die Beklagte den Vorgang erneut dem MDK vor, woraufhin dieser nochmals bestätigte, dass das Umfeldkontrollsystem indiziert sei.
Mit Bescheid vom 19.04.2001 lehnte die ... als Pflegekasse die Zurverfügungstellung des Umfeldkontrollsystems mit der Begründung ab, der Kläger erhalte Leistungen aus der Pflegestufe III nach § 37
SGB XI. Somit stehe ihm eine Rund-um-die-Uhr-Pflege zu, so dass davon ausgegangen werden könne, dass alle Funktionen des Umfeldkontrollgerätes durch die Pflegekräfte kompensiert werden können. Eine Rechtsbehelfsbelehrung war nicht beigefügt.
Daraufhin bat der Kläger unter dem 23.04.2001 um Übersendung der MDK-Gutachten, um auf deren Grundlage einen Widerspruch einleiten zu können. Nach Überreichung der Gutachten erhielt der Kläger ein "Informationsschreiben" vom 31.05.2001, worin die Beklagte ua. feststellte, dass sich die Leistungspflicht der Krankenkasse auf die Befriedigung der elementaren Grundbedürfnisse, zu denen das Bedienen von Unterhaltungselektronik nicht zähle, beschränke. Alternativ wurde ihm die Versorgung mit einem Hausnotrufsystem über die Pflegekasse angeboten und er wurde dazu befragt, ob er den Widerspruch aufrecht erhalte. Der Kläger wies unter dem 14.06.2001 darauf hin, dass die Gutachten des MDK doch eindeutig seien. Auch er als Schwerstkranker habe auch noch einen Anspruch auf soziale Kontakte. Dieses Feld sei für ihn sehr begrenzt, aber die Eigenständigkeit sei für ihn in diesem Bereich sehr wichtig. Im Übrigen empfinde er den Hinweis, dass die Leistungspflicht der Krankenkasse sich auf die Befriedigung der elementaren Grundbedürfnisse, zu denen das Bedienen von Unterhaltungselektronik nicht gehöre, beschränke, in seiner Situation als Zynismus. Es stelle nämlich für ihn den Kontakt zur Umwelt dar. Den Widerspruch erhalte er aufrecht.
Mit Bescheid vom 11.01.2002 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Mit der am 05.02.2002 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Unter Wiederholung des bisherigen Vortrages trägt er weiter vor, auch bei Leistungen nach der Pflegestufe III sei nicht davon auszugehen, dass eine Pflegeperson 24 Stunden anwesend sein müsse. Im Übrigen weise er auf das Urteil des
BSG vom 24. Januar 1990 --
3/8 RK 16/87 -- hin. Das Gerät habe er sich bisher nicht selbst beschafft.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 19.04.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.01.2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ein NEMO-Umfeld-Kontrollsystem (Artikel 40-10100) nebst Zubehör und Installationspaket zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Unter Bezugnahme auf den Widerspruchsbescheid trägt sie weiter vor, das Urteil, auf das der Kläger sich beziehe, stamme aus der Zeit vor Inkrafttreten des
SGB XI.
Das Gericht hat zur Ermittlung der Einsatzmöglichkeiten und Ausstattung des NEMO-Umfeld-Kontrollsystems die technischen Daten sowie eine Gebrauchsanweisung von der ... beigezogen.
Die Akte der Beklagten lag vor und ist Gegenstand der Entscheidung gewesen.
Die Klage ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben. Sie ist auch begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten, da dieser gegen die Beklagte Anspruch auf Zurverfügungstellung eines NEMO-Umfeld-Kontrollsystems nebst Zubehör und Installationspaket aus der gesetzlichen Krankenversicherung hat.
Das Gericht sah sich auch nicht gehindert durchzuentscheiden, obwohl der Ablehnungsbescheid vom 19.04.2001 von der Pflegekasse der Beklagten erlassen worden ist und der Widerspruchsbescheid vom 11.01.2002 von der Widerspruchsstelle der Beklagten. Der in der mündlichen Verhandlung vom 30.07.2002 erschienene Vertreter der Beklagten erschien zugleich auch als Vertreter der ..., Pflegekasse, und machte deutlich, dass beide Versicherungsträger der Auffassung seien, dass dem Kläger das beantragte Umfeldkontrollsystem nicht zustehe. Eine isolierte Aufhebung des Widerspruchsbescheides und eine Entscheidung durch den Widerspruchsausschuss "Pflege" wäre nur eine unnütze Förmelei zulasten des Klägers, da schon von vornherein feststeht, dass der Widerspruch des Klägers erneut zurückgewiesen werden würde und in einem dann zu erwartenden gerichtlichen Verfahren als Streitigkeit aus dem Bereich der gesetzlichen Pflegeversicherung die jetzige Beklagte
gem. § 75
Abs.2
SGG beizuladen wäre, mit der Möglichkeit einer Verurteilung zur Leistung
gem. § 75
Abs. 5
SGG.
Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers kann allein § 33
Abs. 1
SGB V sein, da er sich das Umfeldkontrollsystem bisher nicht selbst beschafft hat und daher eine Kostenerstattung gemäß § 13
Abs. 3
SGB V nicht in Betracht kommt.
Gemäß § 33
Abs. 1
SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34
Abs. 4
SGB V ausgeschlossen sind.
Des Weiteren müssen die begehrten Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht erwirken und die Krankenkassen nicht bewilligen (§ 12
Abs. 1
SGB V). Notwendig ist eine Leistung, wenn durch sie der regelwidrige Körper- oder Geisteszustand behoben, gebessert, vor einer Verschlimmerung bewahrt oder Schmerzen
bzw. Beschwerden gelindert werden können. Insbesondere bei behinderungsbedingten Funktionsausfällen beschränkt sich der Leistungszweck auf den Ausgleich der Behinderung oder sonstiger Auswirkungen im Rahmen eines elementaren Lebensbedürfnisses; allgemeine gesellschaftliche, berufliche oder private Nachteile werden nicht erfasst ( Höfler in Kasseler Kommentar, Stand Januar 2002, § 12
SGB V Rz.28 mwN.) Zweckmäßig ist, was nach seiner Wirkung geeignet ist, einen bestimmten Zweck, bestimmte Ziele zu erreichen. Die Leistung muss zweckdienlich, zweckentsprechend sein. Dies erfordert eine gewisse Übereinstimmung von Wirkung und Behandlungsziel, aber auch ein gewisses Maß an Wirksamkeit ( Käsling in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, Stand August 2000, § 12
SGB V Rz. 6). Im Rahmen der Wirtschaftlichkeit soll mit dem geringstmöglichen Aufwand die erforderliche -- ausreichende und zweckmäßige -- Leistung erbracht werden. Voraussetzung dafür sind alternative Möglichkeiten. Besteht letztlich nur eine erfolgversprechende Methode, ist diese nicht schon wegen ihres Aufwands unwirtschaftlich (Käsling aaO. § 12
SGB V Rz. 7).
Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
Bei dem begehrten Umfeldkontrollsystem handelt es sich um ein Hilfsmittel im Sinne des § 33
SGB V. Hilfsmittel sind alle ärztlich verordneten Sachen, die den Erfolg der Heilbehandlung sichern oder die Folgen von Gesundheitsschäden mildern oder ausgleichen. Dazu gehören insbesondere Körperersatzstücke und typische orthopädische Hilfsmittel, aber auch Geräte, die den Erfolg einer Heilbehandlung bei Anwendung durch den Versicherten selbst sicherstellen sollen (Rspr. des
BSG ua. Urteil vom 30. Januar 2001 --
B 3 KR 6/00 R --). Ein Hilfsmittel muss zum Ausgleich eines körperlichen Funktionsdefizits geeignet und notwendig sein, wobei es genügt, wenn es die beeinträchtigten Körperfunktionen ermöglicht, ersetzt, erleichtert oder ergänzt. Weiter muss es zur Befriedigung von Grundbedürfnissen -- gesunde Lebensführung, allgemeine Verrichtungen des täglichen Lebens, geistige Betätigung und Erweiterung des durch die Behinderung eingeschränkten Freiraumes -- dienen ( Urteil des
BSG vom 24.01.1990 -- 3/8 RK 16/87 -- in NJW 1991, 1564). Zu den elementaren Grundbedürfnissen des täglichen Lebens gehört auch ein persönlicher Freiraum, eine Intimsphäre, in der sich ein Mensch betätigen kann, ohne dabei von anderen beobachtet zu werden. Diesen Freiraum nimmt auch jeder Gesunde in Anspruch.
Der Kläger ist an multipler Sklerose erkrankt, was zu einer schweren Tetraparese geführt hat. Er leidet, auch unter Berücksichtigung damit verbundener weiterer Funktionseinschränkungen, die für diese Entscheidung jedoch nicht relevant sind, an einer extremen kaum vorstellbaren Behinderung und ist damit komplett von der Hilfe dritter Personen abhängig. Dementsprechend erfüllt er auch die Voraussetzungen für die Pflegestufe III nach § 15
Abs. 1
S. 1
Nr. 3,
Abs. 3
Nr. 3
SGB XI und erhält entsprechende Leistungen aus der Pflegeversicherung.
Durch das Umfeldkontrollgerät wird die Funktion der Arme und Hände des Klägers teilweise ersetzt. Es ist erforderlich, weil der Kläger damit wegen des Ausfalls seiner Hände und gleichzeitig aller anderen für einen Ausgleich in Betracht kommenden Gliedmaßen Apparate wie Fernseher, Radio
etc. bedienen kann. Dies erst ermöglicht ihm trotz der Schwere seiner Behinderung, einen kleinen persönlichen Freiraum zu erhalten und sein legitimes Bedürfnis nach Kommunikation und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu befriedigenden. Insofern mutet es schon, wie der Kläger auch gegenüber der Beklagten in seinem Schreiben vom 14.06.2001 äußerte, als Zynismus an, wenn die Beklagte den Kläger im Schriftsatz vom 31.05.2001 darauf hinweist, dass sich die Leistungspflicht der Beklagten auf die Befriedigung der elementaren Grundbedürfnisse, zu denen das Bedienen von Unterhaltungselektronik nicht zähle, beschränkt.
Nicht nachvollziehbar ist die Argumentation der Beklagten, dass die Gewährung des Umfeldkontrollgerätes schon deswegen ausgeschlossen sein soll, weil der Kläger Leistungen nach der Pflegestufe III aus der gesetzlichen Pflegeversicherung erhält und deshalb rund um die Uhr eine Pflegeperson anwesend sein muß. Selbst bei der Pflegestufe III (§ 15
Abs. 1
S. 1
Nr. 3,
Abs. 3
Nr. 3
SGB XI) ist es eben gerade nicht erforderlich, dass rund um die Uhr, also 24 Stunden, eine Pflegeperson anwesend sein muss, sondern nur, dass der Hilfebedarf rund um die Uhr, auch nachts, anfällt, im zeitlichen Umfang des § 14
Abs.3 Nr 3
SGB XI. Eine Pflege "rund um die Uhr" ist sogar dann zu bejahen, wenn zwischen zwei erforderlichen Hilfen eine größere Zeitspanne ohne regelmäßigen Hilfebedarf, etwa von siebeneinhalb Stunden liegt (
BSG in SozR 3-3300 § 15
Nr. 5).
Im Übrigen sind gerade bei der Zuordnung zu einer Pflegestufe nur die in § 14
Abs. 4
SGB XI Verrichtungen zu beachten ( ständige Rechtsprechung des
BSG ua. in SozR 3-3300 § 14 Nrn 14, 2; Urteil vom 28.06.2001 -- B 3 P 7/00 R). Dazu gehört jedoch gerade nicht die Erlangung eines kleinen persönlichen Freiraums. Die Sicherstellung dieses Freiraums ist Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung.
Die Zurverfügungstellung des Umfeldkontrollgerätes ist auch wirtschaftlich, da ein anderes Gerät, welches den Kläger bei seinen Umfeldbeziehungen unterstützt, nicht in Frage kommt. Insbesondere das von der Beklagten angebotene Notrufsystem ist gerade nicht dazu geeignet, dem Kläger die Bedienung elektronischer Geräte zu ermöglichen und kann von ihm schon wegen der Bewegungsunfähigkeit von Händen und Armen gar nicht bedient werden.
Das Umfeldkontrollgerät ist auch kein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, da es ausschliesslich für Kranke entwickelt worden ist.
Nach alldem war der Klage stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG.