Jugdment
Krankenversicherung - Ausstattung - Lagerungsrollstuhl für Pflegeheimbewohnerin

Court:

LSG Essen 5. Senat


File Number:

L 5 KR 33/02


Judgment of:

26 Feb 2003


Orientierungssatz:

Ungeachtet eines Heimaufenthalts haben die Krankenkassen den Versicherten die Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen, die wesentlich der Befriedigung von Grundbedürfnissen dienen. Dies ist auch hinsichtlich eines Lagerungsrollstuhls der Fall, auch wenn die Versicherte sich nicht mehr aktiv am Gemeinschaftsleben beteiligen konnte.

Legal Recourse:

SG Duisburg, Urteil vom 28.01.2002 - S 7 (9) KR 91/00
BSG, Urteil vom 22.07.2004 - B 3 KR 5/03 R

Source:

JURIS-GmbH

Tatbestand:

Streitig ist die Versorgung der in einem Pflegeheim lebenden Versicherten mit einem Lagerungsrollstuhl.

Die 1912 geborene Klägerin ist als Rentnerin bei der Beklagten versichert. Sie leidet an einer fortgeschrittenen senilen Demenz (Alzheimer), ferner bestehen Beugekontrakturen an allen Extremitäten. Sie lebt in einem Pflegeheim und ist in die Pflegestufe III als Härtefall eingestuft.

Mit einer vertragsärztlichen Verordnung der Dres. H./S. vom 09.09.1999 beantragte die Klägerin die Versorgung mit einem Faltrollstuhl mit verstellbarer Rückenlehne und Fußstützen sowie mit einer Fixationsweste für den Oberkörper. Nachdem die Beklagte nach Einholung einer Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) die beabsichtigte Ablehnung des Antrags mitgeteilt hatte, führte Dr. S. in einem Schreiben vom 16.10.1999 aus: Die Klägerin sei wegen einer fortgeschrittenen senilen Demenz bettlägerig. Zur Dekubitus- und Pneumonieprophylaxe werde sie regelmäßig in einen Rollstuhl gesetzt. Da sie aus einem herkömmlichen Faltrollstuhl mehrfach herausgefallen sei, sei ein Lagerungsrollstuhl erforderlich. Das Pflegeheim wies in einem Schreiben vom 15.11.1999 darauf hin, die Klägerin werde nach dem Waschen in einen Rollstuhl gesetzt. Da sie nicht in der Lage sei, über einen längeren Zeitraum aufrecht zu sitzen, sei ein Lagerungsrollstuhl mit Fixationsweste erforderlich. Sie könne dadurch auch wieder an gesellschaftlichen Veranstaltungen im Heim teilnehmen; sie verbringe täglich 5 bis 6 Stunden im Rollstuhl. Dr. S. vom MDK meinte zu diesem Vorbringen, nach dem Pflegegutachten sei die Klägerin gar nicht in der Lage, den überwiegenden Teil des Tages sitzend im Rollstuhl zu verbringen, erst recht könne sie nicht am gesellschaftlichen Leben teilnehmen.

Mit Bescheid vom 02.12.1999 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Zur Begründung führte sie aus, von der Leistungspflicht der Krankenkasse seien nur Hilfsmittel umfasst, die den Versicherten die aktive Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ermöglichen sollten und sie durch die Erhöhung ihrer Selbständigkeit zumindest teilweise von den Pflegepersonen unabhängig machten. Andere Hilfsmittel dienten ausschließlich der Verminderung des Pflegeaufwandes und seien vom Heim zur Verfügung zu stellen.
Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, sie verbringe 5 bis 6 Stunden täglich im Rollstuhl. Dieser diene der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben, denn damit könne sie zu Veranstaltungen im Heim gefahren werden, ohne Gefahr zu laufen, aus dem Rollstuhl zu fallen. Die Beklagte holte eine weitere Stellungnahme des MDK ein, der unter dem 13.01.2000 ausführte, die Klägerin sei aus eigener Kraft nicht mehr in der Lage, zu gehen und im Rollstuhl ihre Körperhaltung aufrechtzuerhalten. Der Rollstuhl diene dem Transport innerhalb der Pflegeeinrichtung, außerdem sei er ein Ersatz für einen normalen Stuhl beim Essen. Durch die Versorgung mit dem Rollstuhl könne die Klägerin am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, jedoch nur, wenn sie in den Rollstuhl gesetzt werde. Das Hilfsmittel gleiche zwar Defizite beim Gehen bzw. der Aufrechterhaltung der Körperhaltung aus, gleichzeitig sei eine Pflege ohne diese Mittel kaum möglich bzw. auf das Äußerste erschwert. Letztlich stehe wohl die Pflegeerleichterung im Vordergrund. Mit Widerspruchsbescheid vom 12.04. 2000 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Im Klageverfahren hat die Klägerin ihren Vortrag wiederholt, dass sie 5 bis 6 Stunden täglich im Rollstuhl sitze und nur mittels dieses Rollstuhls am gesellschaftlichen Leben teilnehmen könne. Ohne den Rollstuhl könne sie das Zimmer nicht verlassen. Sie benötige einen speziell an ihre Behinderung angepassten Rollstuhl; insoweit verweist sie auf ein Schreiben des Sanitätshauses L., in dem es heißt, aufgrund der vorhandenen Kontrakturen sei ein Standardrollstuhl nicht einsetzbar, die Klägerin benötige einen Rollstuhl mit einer Rückenverstellung sowie Sitzkantelung und verstellbarer Kopfstütze.

Während des Klageverfahrens haben Dres. H./S. eine neue Verordnung vom 07.07.2000 über einen Lagerungsrollstuhl ausgestellt, auf deren Grundlage das Sanitätshaus L. einen Kostenvoranschlag für einen anderen Typ eines Lagerungsrollstuhls gemacht hat (Kosten insgesamt 4.627,95 DM). In einem von der Beklagten eingeholten Gutachten des MDK (Dr. B.) vom 09.10.2000 wurde bestätigt, dass aufgrund der Gesundheitsstörungen ein einfacher Zimmerrollstuhl nicht ausreichend und der im Kostenvoranschlag genannte für die Klägerin geeignet sei. Eine Leistungspflicht der Krankenkasse bestehe aber nach der aktuellen Rechtsprechung des BSG nicht. Das Sanitätshaus hat im Juli 2001 der Klägerin den angebotenen Rollstuhl zur Verfügung gestellt, der Kaufpreis ist gestundet worden.

Mit Urteil vom 28.01.2002 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Rollstuhl zähle zu den Hilfsmitteln, die der Träger des Heimes zur Verfügung zu stellen habe, da der Rollstuhl ausschließlich innerhalb des Heims benötigt werde und es sich nicht um ein Hilfsmittel handele, das der Befriedigung eines allgemeinen Grundbedürfnisses außerhalb des Pflegeheimes diene.

Mit der Berufung rügt die Klägerin, das Sozialgericht habe zu Unrecht verneint, dass es sich bei dem Lagerungsrollstuhl um ein individuell angepasstes Hilfsmittel handele. Vielmehr ergebe sich aus der Darstellung des Sanitätshauses, dass der Rollstuhl dem Krankheitsbild angepasst worden und nach Entfernung der Sonderteile für keinen Heimbewohner mehr verwendbar sei. Ferner meint sie, ihr Anspruch sei unter Berücksichtigung der jüngsten Entscheidungen des BSG begründet.


Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 28.01.2002 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 02.12.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.04.2000 zu verurteilen, die Klägerin von den Kosten der Versorgung mit einem Rollstuhl "REA 705 Silencio-Care" in Höhe von 2.351,25 Euro freizustellen.


Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Entgegen der Auffassung der Klägerin ergebe sich aus der Auskunft des Sanitätshauses, dass es sich bei dem Rollstuhl nicht um ein individuelles Hilfsmittel handele. Eine Änderung der bisherigen Rechtsprechung ergebe sich aus den neueren Entscheidungen des BSG nicht, keineswegs seien nunmehr alle Hilfsmittel im Heim von den Krankenkassen zu übernehmen.

Der Senat hat eine Auskunft von dem Sanitätshaus L. eingeholt, das unter dem 22.05.2002 mitgeteilt hat, die Rollstühle würden fast alle in Serie gebaut, aber den Rollstuhlbenutzern individuell in Sitzbreite, -tiefe, Rückenhöhe, Sitzhöhe und dem Krankheitsbild entsprechend angepasst. Bei dem "REA 705 Silencio-Care" handele es sich um ein Multifunktionsrollstuhl, bei dem durch Sitzkantel- und Rückenverstellung eine Oberkörperstabilisierung des Rollstuhlnutzers herbeigeführt werde. Ebenso werde durch eine individuelle Begurtung versucht, den Patienten zu positionieren und in Kombination mit dem gegebenen Verstellmöglichkeiten in die aufrechte Sitzposition zu bringen. Für die Anpassung könnten serienmäßig hergestellte Teile verwendet werden, der zeitliche Aufwand für die Anpassung werde auf 75 Minuten geschätzt. Das Grundmodell des Rollstuhls könne nach Entfernen diverser Vorrichtungen auch für andere Personen genutzt werden. Allerdings müsse eine Sitztiefen- und Sitzbreitenanpassung erfolgen, der Zeitaufwand für diese Einstellung betrage ca. 60 Minuten. In der mündlichen Verhandlung ist der Pflegedienstleiter V. als Zeuge vernommen worden; wegen des Inhalts seiner Aussage wird auf die Sitzungsniederschrift vom 27.02.2003 Bezug genommen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist auch begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen, denn die Klägerin hat Anspruch auf Freistellung von den Kosten für den selbstbeschafften Rollstuhl.

Anspruchsgrundlage des Freistellungsanspruchs ist § 13 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (( SGB V) in der ab 01.07.2001 geltenden Fassung); der dort geregelte Kostenerstattungsanspruch umfasst auch einen Freistellungsanspruch (vgl. BSG SozR 3-2500 § 13 Nr. 14, 17). Das Sanitätshaus hat den in der Rechnung vom 25.07.2001 ausgewiesenen Betrag von 2.351,25 Euro nur bis zum Abschluss des Verfahrens gestundet, so dass die Klägerin einem Zahlungsanspruch des Sanitätshauses ausgesetzt ist.

Die Beklagte hat vor der Selbstbeschaffung des Rollstuhls zu Unrecht die Leistung abgelehnt. Vielmehr hat die Klägerin ungeachtet ihres Heimaufenthaltes Anspruch auf die Gewährung eines Rollstuhls.
Nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V (in der seit 01.07.2001 geltenden Fassung) haben Versicherte Anspruch unter anderem auf Hilfsmittel, die im Einzelfall erforderlich sind, den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind. Rollstuhl und Fixationsweste sind hier zum Ausgleich einer Behinderung erforderlich. Da die Klägerin weder selbst gehen noch stehen oder aus eigener Kraft aufrecht sitzen kann, ersetzen der Rollstuhl bzw. die Fixationsweste mittelbar die ausgefallenen Organfunktionen. Beide Hilfsmittel sind auch keine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens und nicht durch Rechtsverordnung ausgeschlossen.

Die Beklagte bezweifelt das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale des § 33 Abs. 1 SGB V auch nicht, sondern verneint ihre Leistungspflicht unter Hinweis auf eine vorrangige Vorhaltepflicht des Pflegeheimes für die betreffenden Hilfsmittel. In der Tat hat der 3. Senat des BSG in mehreren Urteilen vom 10.02.2000 (u.a. SozR 3-2500 § 33 Nr. 37) entschieden, dass zwar grundsätzlich der Heimaufenthalt eines Versicherten seinem Versorgungsanspruch nicht entgegensteht, die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen aber dort ende, wo bei vollstationärer Pflege die Pflicht des Heimträgers auf Versorgung der Heimbewohner mit Hilfsmitteln einsetze. In der damaligen Entscheidung hat der 3. Senat diese Pflicht des Heimträgers noch relativ weit gefasst, eine Leistungspflicht der Krankenkassen hat er nur für individuell angepasste und ihrer Natur nach nur für den Versicherten bestimmte Hilfsmittel sowie für solche bejaht, die der Befriedigung eines Grundbedürfnisses außerhalb des Pflegeheimes dienten. Zur "Heimsphäre" hat er in der genannten Entscheidung ausdrücklich auch Rollstühle gezählt, die nur für Aktivitäten innerhalb des Heimbereichs benötigt würden. Sie zählten in der Regel nicht zu den individuell angepassten Hilfsmitteln; dies gelte auch dann, wenn es sich um ein Serienfabrikat handele, das auf bestimmte körperliche Gegebenheiten einstellbar sei.

Hiervon ausgehend bestünde wohl keine Leistungspflicht der Beklagten. Auch unter Berücksichtigung der Auskunft des Sanitätshauses L. vom 22.05.2002 wäre der individuelle Charakter des hier in Frage stehenden Rollstuhls zu verneinen, da es sich um ein Serienfabrikat handelt, das mit serienmäßig hergestellten Teilen aus einem Baukastensystem des Herstellers an die individuellen Gegebenheiten der Klägerin angepasst worden ist. Der für die Anpassung erforderliche Zeitaufwand von 75 Minuten ist auch nicht so erheblich, dass er gegenüber dem Wert des Grundmodells im Vordergrund stehen würde. Der Rollstuhl ist auch nach der Aussage des Zeugen V. ausschließ lich für Fahrten im Haus einschließlich des Gartens, also nicht für Ausflüge der Angehörigen mit der Klägerin außerhalb des Heimes, genutzt worden.

Allerdings hat der 3. Senat in zwei weiteren Entscheidungen vom 06.06.2002 (B 3 KR 67/01 R) und 24. 09. 2002 (B 3 KR 15/02 R), die unmittelbar Hilfsmittel zur Durchführung von Behandlungspflege betreffen, seine Auffassung "präzisiert". Er zählt nunmehr alle Hilfsmittel, die der Behandlungspflege dienen, grundsätzlich zu den von der Leistungspflicht der Krankenkassen umfassten Hilfsmittel. Im Übrigen sollen, soweit der mit dem Heim bestehende Versorgungsvertrag nichts Ausdrückliches zur Heimausstattung vorschreibt, die Heime lediglich die zur Durchführung der üblichen Maßnahmen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung erforderliche Ausstattung vorzuhalten haben. Zu dieser Ausstattung zählen auch solche Gegenstände, die zwar auch zum Behinderungsausgleich eingesetzt werden, jedoch nach ihrem Verwendungszweck ganz überwiegend die Durchführung der Pflege ermöglichen oder erleichtern.
Allerdings bleibt unklar, bei welchen Hilfsmitteln und unter welchen Voraussetzungen die Pflege im Vordergrund steht. Im Urteil vom 24.09.2002 (a.a.O.) nennt der 3. Senat in diesem Zusammenhang beispielhaft ( nur) den einfachen Schieberollstuhl zum Transport im Heim und das Pflegebett.
Im Urteil vom 06.06.2002 (a.a.O) führt er dagegen aus, es spreche einiges dafür, auch solche Gegenstände der Heimausstattung zuzurechnen, bei denen zwar noch ein gewisser Behinderungsausgleich zu erkennen sei, ganz überwiegend aber die Pflege im Vordergrund stehe, weil eine Selbstbestimmung und Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nicht mehr möglich sei, eine Rehabilitation damit nicht mehr stattfinde. In diesem Zusammenhang schränkt er seine Aussage im Urteil vom 10.02.2000 (a.a.O.), dass Rollstuhlfahrer, die das Heim nicht mehr verlassen, vom Heim mit einem Rollstuhl auszustatten seien, dahin ein, dass dies nicht für Menschen gelte, die ihre Wege und Aufenthaltsorte innerhalb des Heimes noch selbst bestimmten.

Der Senat hält es für zutreffend, dass ungeachtet eines Heimaufenthalts die Krankenkassen den Versicherten die Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen haben, die wesentlich der Befriedigung von Grundbedürfnissen dienen. Das ist hier hinsichtlich des Lagerungsrollstuhls der Fall, auch wenn die Klägerin sich nicht mehr aktiv am Gemeinschaftsleben beteiligen konnte. Sollten die Ausführungen des 3. Senats im Urteil vom 06.06.2002 (aaO.) so zu verstehen sein, dass bei Versicherten, die aktiv am Leben in der Gesellschaft nicht mehr teilnehmen können, immer die Pflege im Vordergrund stehe, könnte der Senat dem nicht folgen. Auch wenn mangels Erfolgsaussicht keine Rehabilitation mehr in Betracht kommt, bedeutet dies nicht, dass damit das Grundbedürfnis auf Teilnahme am gesellschaftlichen Leben entfallen wäre. Auch die Gruppe der geistig verwirrten oder hirnorganisch geschädigten Versicherten hat Anspruch auf ein Zusammensein mit anderen und eine Teilhabe an gesellschaftlichen Veranstaltungen. Der Senat hält es für den Leistungsanspruch für irrelevant, ob die Klägerin selbst noch über die Wege und Aufenthaltsorte im Heim entscheiden konnte oder vom Pflegepersonal bzw. ihren Angehörigen mit Mitbewohnern zusammengebracht worden ist. Ein sachlicher Grund dafür, die Leistungspflicht der Krankenkasse für einen im individuellen Fall erforderlichen Rollstuhl zu bejahen, wenn der Versicherte geistig noch in der Lage ist, den zurückzulegenden Weg selbst zu bestimmen, aber zu verneinen, wenn diese geistige Fähigkeit nicht mehr vorhanden ist, ist nicht erkennbar. Im vorliegenden Fall ergibt sich aus der Aussage des Zeugen V., dass die Klägerin jedenfalls im Zeitpunkt der Beschaffung des Rollstuhls noch mehrfach wöchentlich vormittags und nachmittags für jeweils 1 bis 1 1/2 Stunden mittels des Rollstuhls in den Gemeinschaftsraum gebracht werden konnte und darüber hinaus ihr Sohn mit ihr auch noch die Cafeteria und den Garten des Pflegeheimes aufgesucht hat. Auch wenn die Klägerin aktiv mit anderen nicht mehr kommunizieren konnte, hat sie doch nach Aussage des Zeugen sichtbar durch ihre Mimik auf die Anwesenheit anderer Personen reagiert. Die - wenn auch eingeschränkte - Teilnahme am Leben im Heim war ihr nur mittels des in Frage stehenden Rollstuhls möglich. In einem Standardrollstuhl konnte sie nach der Bekundung des Zeugen V. ihr Körpergewicht nicht halten (das hatte auch schon Dr. B. im Gutachten vom 09.10. 2000 eingeräumt). Auch wenn der Rollstuhl nicht im Sinne des Urteils vom 10.02.2000 (a.a.O.) als individuell angepasstes Hilfsmittel anzusehen ist, ist er doch speziell an die Bedürfnisse der Klägerin angepasst worden und ist für keinen weiteren Heimbewohner einsetzbar, so dass die Klägerin eines eigenen Rollstuhls bedurfte. Es bedarf keiner näheren Begründung, das angesichts der erforderlichen Umrüstzeit von 60 bis 75 Minuten es nicht möglich war, jeweils im Einzelfall ein Grundmodell an die Bedürfnisse der Klägerin anzupassen. Rollstuhl und Fixationsweste waren somit zur Herstellung der Mobilität und zur Ermöglichung eines Aufenthalts in Gesellschaft erforderlich. Dass, wie es im Gutachten des MDK vom 13.01.2000 heißt, die Pflegeerleichterung im Vordergrund gestanden haben soll, vermag der Senat nicht zu erkennen, denn die Pflege hätte auch im Bett durchgeführt werden können.

Auch das Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 12 SGB V) steht dem Anspruch nicht entgegen. Ob dann, wenn der körperliche Zustand nur noch sporadisch die Benutzung des Rollstuhls erlaubt, unter dem Gesichtspunkt einer Kosten- Nutzen-Relation (s. jetzt aber neuerdings BSG, Urteil vom 06.06.2002 - B 3 KR 68/02 R -) ein Leistungsanspruch ausscheidet, kann dahinstehen, denn zu dem für den Freistellungsanspruch maßgebenden Zeitpunkt der Selbstbeschaffung (Juli 2001) konnte die Klägerin nach den Bekundungen des Zeugen V. den Rollstuhl noch in einem erheblichen Umfang nutzen. Dass speziell die Anschaffung dieses Rollstuhltyps unwirtschaftlich gewesen wäre, ist nicht ersichtlich; Dr. B. hat ihn in seinem Gutachten vielmehr als einen der geeigneten Typen genannt. Ob die Beklagte den Rollstuhl hätte günstiger erwerben (oder der Klägerin einen anderen geeigneten Rollstuhl leihweise zur Verfügung stellen) können, ist irrelevant, da im Rahmen des § 13 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. SGB V die Beklagte die dem Versicherten in Folge ihrer Ablehnung entstandenen notwendigen Kosten zu tragen hat, auch wenn diese über den "Kassensätzen" liegen (vgl. KassKomm-Höfler, § 13 SGB V Rdn. 12). Die Höhe der geltend gemachten Kosten ergibt sich aus der von der Klägerin vorgelegten Rechnungskopie.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Der Senat hat dem Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung beigemessen, da er die Rechtslage hinsichtlich der Leistungspflicht der Krankenkassen für Hilfsmittel bei vollstationärer Pflege für klärungsbedürftig hält und daher die Revision zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG, BSG, Urteil vom 22.07.2004, Az: B 3 KR 5/03 R).

Reference Number:

KSRE091801318


Last Update: 9 Sep 2003