Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig, aber nicht begründet. Das Sozialgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Denn der Bescheid vom 31. Mai 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 1. Oktober 2007 ist rechtswidrig. Die Beklagte durfte eine Zuschussgewährung nicht allein wegen der Belegenheit der Wohnung des Vaters des Klägers in einem sog. Servicehaus der AWO versagen.
Rechtsgrundlage des von dem Kläger geltend gemachten Anspruchs ist § 40
Abs. 4
SGB XI in der seit dem 1. Januar 2002 geltenden Fassung des Änderungsgesetzes vom 23. Oktober 2001 (BGBl. I
S. 2702). Danach können die Pflegekassen subsidiär finanzielle Zuschüsse für Maßnahmen zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes des (versicherten) Pflegebedürftigen gewähren, beispielsweise für technische Hilfen im Haushalt, wenn dadurch im Einzelfall die häusliche Pflege ermöglicht oder erheblich erleichtert oder eine möglichst selbständige Lebensführung des Pflegebedürftigen wiederhergestellt wird (Satz 1). Die Zuschüsse dürfen einen Betrag von 2.557
EUR je Maßnahme nicht übersteigen (Satz 3). Die Gewährung steht im Ermessen der Pflegekassen; auf pflichtgemäße Ermessensausübung besteht ein Anspruch (§ 39
Abs. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch [SGB I]).
Zu der Frage, ob der barrierefreie Badumbau die Leistungsvoraussetzungen im Sinne einer Beeinflussung der Pflegesituation des Vaters des Klägers erfüllt hat, hat die Beklagte sich in den angefochtenen Bescheiden nicht im Einzelnen geäußert. Nach den Ergebnissen der vorliegenden MDK-Gutachten hat der Senat allerdings keine Zweifel daran, dass die Maßnahme die häusliche Pflege erheblich erleichtert
bzw. eine möglichst selbständige Lebensführung des Vaters des Klägers wiederhergestellt hat. Hierüber streiten die Beteiligten auch nicht; in der Berufungsverhandlung hat die Vertreterin der Beklagten auch ausdrücklich erklärt, dass die Beklagte die Erforderlichkeit der Maßnahme zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes nicht bestreite. Zu weiteren Ausführungen besteht insoweit kein Anlass.
Die Beklagte hat eine Bezuschussung allein mit der Begründung abgelehnt, dass die Maßnahme sich nicht auf die Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes des Vaters des Klägers beziehe. Dies ist rechtsfehlerhaft. Die Frage, ob das individuelle Wohnumfeld des Vaters des Klägers betroffen gewesen ist, unterliegt auch nicht dem Ermessen der Beklagten; vielmehr handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der Überprüfung durch das Gericht unterliegt (
vgl. so zum Begriff "Maßnahme zur Verbesserung des Wohnumfeldes"
BSG, Urteil vom 3. November 1999,
B 3 P 3/99 R, SozR 3-3300 § 40
Nr. 1). Hiervon zu trennen ist allerdings die Frage, ob die Beklagte selbst bei einer Betroffenheit des individuellen Wohnumfeldes im Sinne von § 40
Abs. 4
SGB XI in Ausübung des ihr zustehenden Ermessens eine Zuschussgewährung ablehnen kann. Hierüber wird die Beklagte noch zu entscheiden haben.
Das individuelle Wohnumfeld ist betroffen, wenn es sich um eine Maßnahme in der Wohnung des Pflegebedürftigen oder zumindest in dem Haushalt, in den er aufgenommen ist und in dem er gepflegt werden soll, handelt (Leitherer in Kasseler Kommentar, § 40 Rz 35). Die Regelung des § 40
Abs. 4 Satz 1
SGB XI beschränkt sich allerdings nach der Rechtsprechung des
BSG, der der Senat folgt, nicht darauf, dass nur der behindertengerechte Umbau der von dem Pflegebedürftigen bereits bewohnten, normal ausgestatteten Wohnung bezuschusst werden kann; denn der Sinn und Zweck der Vorschrift liegt nicht allein in der finanziellen Hilfe zum Verbleib in der vorhandenen Wohnung
bzw. in der gewohnten Umgebung. Die Vorschrift ist vielmehr dahin auszulegen, dass es sich um eine Hilfe der sozialen Pflegeversicherung zur Vermeidung von Pflege in einem Pflegeheim handelt. Die Regelung ist Ausdruck des allgemeinen Vorrangs der häuslichen Pflege vor der stationären Pflege (§ 3
SGB XI) und des Grundsatzes, dass die Leistungen der Pflegeversicherung dem Pflegebedürftigen helfen sollen, trotz des Pflegebedarfs ein möglichst selbständiges und selbstbestimmtes Leben führen zu können (§ 2
Abs. 1 Satz 1
SGB XI), und dass die Pflegekassen bei der Leistungsgewährung den Wünschen des Berechtigten im Rahmen der Angemessenheit und Wirtschaftlichkeit nach Möglichkeit entsprechen sollen (§ 2
Abs. 2 und 3
SGB XI sowie § 33
SGB I). Der Begriff des "individuellen Wohnumfeldes" des Pflegebedürftigen ist daher nicht auf die vorhandene Wohnung (Mietwohnung, Eigentumswohnung oder Eigenheim) begrenzt, sondern umfasst - in Abgrenzung zum dauerhaften Aufenthalt in einer stationären Einrichtung - jedes Wohnen in einem privaten häuslichen Bereich (
BSG, Urteil vom 26. April 2001,
B 3 P 24/00 R, SozR 3-3300 § 40
Nr. 5).
Nach diesen Maßstäben hindert der Umstand, dass der Vater des Kläger eine Wohnung im sog. Servicehaus der AWO bewohnt hat, eine Zuschussgewährung nicht bereits auf tatbestandlicher Ebene; vielmehr hat die in Rede stehende Maßnahme das individuelle Wohnumfeld des Vaters des Klägers betroffen. Denn der Vater des Klägers hat - wie auch der Vertrag mit der Ka
GmbH & Co
KG belegt - eine private Mietwohnung bewohnt. Dass es sich - wie auch in § 16 des Mietvertrages ausdrücklich erwähnt - um eine Wohnung in einer Altenwohnanlage handelt, in der die AWO eine Service-Einrichtung betreibt, ändert hieran zur Überzeugung des Senats nichts. Zwar bietet die AWO dort einen Grund- und einen Wahlservice an, der die Wohnanlage allerdings nicht zu einem Pflegeheim macht. Die AWO beschreibt ihr Angebot in einer Internet-Veröffentlichung (www.awo-pflege-sh.de) dahingehend, dass sie das Betreute Wohnen für Senioren weiterentwickelt und eine neue Form des Wohnens geschaffen habe, nämlich das Wohnen mit Service/Servicehaus. Die Bewohner könnten dort vielfältige Angebote und Fachkompetenz genießen und gleichzeitig selbstbestimmt und unabhängig in einer eigenen Wohnung leben. Der Service, der den Häusern den Namen gebe, richte sich nach der Persönlichkeit und den Bedürfnissen jedes einzelnen Mieters. Die AWO helfe und unterstütze, wenn die Kräfte durch Krankheit oder Alter eingeschränkt seien. Der Grundservice, dessen Leistungen in einer monatlichen Servicepauschale inklusive seien, umfasse u.a. eine Notrufanlage sowie Hilfen bei kleineren Einkäufen, Besorgungen und Behördenangelegenheiten. Daneben gebe es einen Wahlservice, der über den Grundservice hinausgehe und individuell wählbare Dienstleistungen wie Reinigung der Mietwohnung und der Wäsche, Teilnahme an Mahlzeiten und Pflegesachleistungen in der eigenen Häuslichkeit bis zum Lebensende - rund um die Uhr - umfasse.
Bei der von dem Vater des Klägers in Anspruch genommenen Wohnform des Betreuten Wohnens handelt es sich nicht um den dauerhaften Aufenthalt in einer stationären Einrichtung; vielmehr steht die selbstbestimmte und aktive Lebensgestaltung in der selbst genutzten Mietwohnung im Vordergrund. Nach den Maßstäben der zitierten Rechtsprechung des
BSG muss deshalb davon ausgegangen werden, dass die Maßnahme das individuelle Wohnumfeld des Vaters des Klägers betroffen hat.
Eine andere Auslegung des Begriffs "individuelles Wohnumfeld" ergibt sich auch nicht aus dem von der Beklagten herangezogenen Gemeinsamen Rundschreiben der Spitzenverbände der Pflegekassen vom 10. November 2002 in der Fassung der Änderung vom 16. November 2004, in dem es heißt, Maßnahmen zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes kämen in der Wohnung des Pflegebedürftigen oder in dem Haushalt, in den er aufgenommen worden sei, in Betracht. Entscheidend sei, dass es sich um den auf Dauer angelegten, unmittelbaren Lebensmittelpunkt des Pflegebedürftigen handele. In Alten- und Pflegeheimen sowie Wohneinrichtungen, die vom Vermieter gewerbsmäßig nur an Pflegebedürftige vermietet würden, liege eine Wohnung/ein Haushalt in diesem Sinne nicht vor.
Gemäß § 78
Abs. 2 Satz 1
SGB XI regeln die Spitzenverbände der Pflegekassen (heute: der Spitzenverband Bund der Pflegekassen) mit Wirkung für ihre Mitglieder das Nähere zur Bemessung der Zuschüsse für Maßnahmen zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes der Pflegebedürftigen nach § 40
Abs. 4 Satz 2. Abgesehen davon, dass § 78
Abs. 2 Satz 1
SGB XI nicht auf § 40
Abs. 4 Satz 1
SGB XI Bezug nimmt und sich nur auf die Bemessung der Zuschüsse, nicht aber auf deren Anspruchsvoraussetzungen bezieht, ist damit indessen nicht die Befugnis verbunden, unbestimmte Rechtsbegriffe der anspruchsbegründenden Norm - hier: den Begriff des individuellen Wohnumfeldes - in allgemeinverbindlicher Weise einzuschränken. Ebenso wie der in § 78
Abs. 2 Satz 2
SGB XI enthaltene Auftrag zur Erstellung eines Hilfsmittelverzeichnisses die Spitzenverbände nicht befugt, Ansprüche der Pflegebedürftigen einzuschränken (
vgl. dazu
BSG, Urteil vom 15. November 2007,
B 3 P 9/06 R, SozR 4-3300 § 40
Nr. 7), ermächtigt auch die in § 78
Abs. 2 Satz 1
SGB XI enthaltene Regelung die Spitzenverbände nur, zur Bemessung der Zuschüsse eine für die Gerichte unverbindliche Auslegungshilfe zu schaffen. Unabhängig hiervon liegt hier im Sinne des Rundschreibens weder ein Alten- oder Pflegeheim im herkömmlichen Sinne noch eine Wohneinrichtung vor, die vom Vermieter gewerbsmäßig nur an Pflegebedürftige vermietet wird.
Soweit die Beklagte in Anlehnung an den Inhalt des Rundschreibens und in Ausübung des ihr zustehenden Ermessens Unterkunftsarten wie die vorliegende generell von einer Zuschussgewährung ausnehmen will, ist die Entscheidung ermessensfehlerhaft, weil die Beklagte - wie sich aus Vorstehendem ergibt - ihr Ermessen nicht entsprechend dem Zweck der Ermächtigung ausgeübt hat (§ 39
Abs. 1 Satz 1
SGB I). Darüber hinaus hat sie verkannt, dass für eine Zuschussversagung im Wege der Ermessensausübung stets die Umstände des Einzelfalles maßgeblich sind (
vgl. allg. Leitherer a.a.O. § 40 Rz 35). Den Einzelfallumständen hat die Beklagte jedoch hier keine erkennbare Bedeutung beigemessen, indem sie ohne weitere Prüfung den Inhalt des Gemeinsamen Rundschreibens übernommen und das von dem Vater des Klägers in Anspruch genommene Betreute Wohnen einem Altenheim in dem darin erwähnten Sinne gleichgesetzt hat.
Das Vorbringen der Beklagten in der Berufungsbegründung deutet darauf hin, dass sie sich letztlich dagegen wehrt, zu den Kosten einer vom Vermieter generell geplanten Wohnungsmodernisierung - losgelöst vom Einzelfallbedarf ihrer Versicherten - herangezogen zu werden. Der Umstand, dass der Vater des Klägers seinem Zuschussantrag im März 2007 Unterlagen über einen barrierefreien Badumbau aus dem Oktober 2006 für diverse Belegenheiten beigefügt hat, in denen die Kb
m.b.H. als Auftraggeber benannt war, könnte in diesem Sinne Hinweis auf eine missbräuchliche Inanspruchnahme sein. Andererseits setzt jede Zuschussgewährung nach § 40
Abs. 4
SGB XI das Erfüllen der tatbestandlichen Voraussetzungen in der Person des Hilfebedürftigen voraus, was wiederum gegen eine missbräuchliche Inanspruchnahme schützen dürfte. Insoweit mag die Beklagte bei einer erneuten Ermessensentscheidung eine Abwägung vornehmen, der der Senat im Rahmen des anhängigen Rechtsstreits nicht vorgreifen kann.
Die Ermessensfehlerhaftigkeit des Versagungsbescheides kann nicht im gerichtlichen Verfahren geheilt werden, weil ein Nachschieben von Gründen bei Ermessensentscheidungen grundsätzlich unzulässig ist (
vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Kel¬ler/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 9. Aufl. § 54 Rz 36; Littmann in Hauck/Noftz,
SGB X, K § 41 Rz 11).
Nach allem kann die Berufung der Beklagten keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Der Senat hat angesichts der vorliegenden
BSG-Rechtsprechung zum Begriff des individuellen Wohnumfeldes im Sinne von § 40
Abs. 4
SGB XI keinen Anlass gesehen, nach § 160
Abs. 2
SGG die Revision zuzulassen.