Die zulässige Berufung des Beklagten ist begründet. Das angefochtene Urteil kann keinen Bestand haben. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113
Abs. 5 Satz 1
VwGO). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Unfallausgleich, weil die anerkannten Verletzungsfolgen des Dienstunfalls vom 2. April 2004 keine
MdE von mindestens 30 v.H. bedingen.
Nach § 35
Abs. 1 BeamtVG erhält der Beamte, der infolge eines Dienstunfalls in seiner Erwerbsfähigkeit länger als sechs Monate wesentlich beschränkt ist, solange dieser Zustand andauert, einen Unfallausgleich. Wesentlich bedeutet, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit mindestens 25 v.H. beträgt. Dies folgt aus der Verweisung in § 35
Abs. 1 Satz 2 BeamtVG auf § 31
Abs. 1 und 2 BVG der beim Erlass des Widerspruchsbescheides am 3. November 2006 geltenden Fassung (
vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juni 1965 - VI C 38.63 - BVerwGE 21, 282, 283 f.). Daran ist auch nach der zum 21. Dezember 2007 in Kraft getretenen Neufassung des § 31 BVG (BGBl. I
S. 2904) festzuhalten. Der Regelungsgehalt des § 31
Abs. 2 BVG a.F., nach dem eine bis zu 5 v.H. geringere Minderung der Erwerbsfähigkeit vom höheren Zehnergrad mit umfasst ist, ist in § 30
Abs. 1 Satz 2 BVG aufgenommen worden. Zwar verweist § 35 BeamtVG nicht auf § 30
Abs. 1 Satz 2 BVG, aber über den Verweis auf § 31
Abs. 1 BVG, der aufgrund von § 30
Abs. 1 Satz 2 BVG auch einen Grad der Schädigungsfolgen von 25 v.H. erfasst, behält diese Regelung zugleich auch ihre Bedeutung für den Begriff der wesentlichen Beschränkung der Erwerbsfähigkeit im Sinne des § 35 BeamtVG (
vgl. Groepper/ Tegethoff in Plog/Wiedow, Kommentar zum Bundesbeamtengesetz, BeamtVG § 35 Rn. 6;
OVG Bremen, Urteil vom 29. Oktober 2008 - 2 A 38.05 - juris Rn. 53).
Nach § 35
Abs. 2 Satz 1 ist die Minderung der Erwerbsfähigkeit nach der körperlichen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben zu beurteilen. Erwerbsfähigkeit ist die Kompetenz des Verletzten, sich unter Nutzung der Arbeitsgelegenheiten, die sich ihm abstrakt im gesamten Bereich des Erwerbslebens bieten, einen Erwerb zu verschaffen. Auf den bisherigen Beruf oder die bisherige Tätigkeit wird dabei nicht abgestellt (
vgl. Groepper/Tegethoff in Plog/Wiedow, a.a.O. § 35 Rn. 5). Maßgeblich ist die Sach- und Rechtslage bei Abschluss des Verwaltungsverfahrens (
vgl. OVG Bremen, a.a.O. Rn. 55
m.w.N.).
Der Unfall des Klägers am 2. April 2004 ist vom Beklagten mit Bescheid vom 2. Juli 2004
bzw. 14. Juni 2004 als Dienstunfall im Sinne des § 31
Abs. 1 BeamtVG anerkannt worden. Eine wesentliche Beschränkung der Erwerbsfähigkeit des Klägers mit einer
MdE von mindestens 30 v.H. kann der Senat nicht erkennen. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sieht der Senat vielmehr die Feststellung einer dienstunfallbedingten
MdE von 20 v.H. durch den Beklagten unter Berücksichtigung der amtsärztlichen und fachärztlichen Stellungnahmen im Verwaltungsverfahren als zutreffend an. Bei der Feststellung der nach dem Beamtenversorgungsrecht maßgebenden
MdE sind die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2
SGB IX)" (im Folgenden:
AHP) zu berücksichtigen, hier in der maßgeblichen Fassung von 2005 (inhaltsgleich mit der Fassung 2008 und der ab 1. Januar 2009 geltenden
Versorgungsmedizin-Verordnung). Bei den
AHP handelt es sich um antizipierte Sachverständigengutachten, deren Beachtlichkeit im konkreten Verwaltungs- und Gerichtsverfahren sich daraus ergibt, dass eine dem allgemeinen Gleichheitssatz entsprechende Rechtsanwendung nur dann gewährleistet ist, wenn die verschiedenen Behinderungen nach gleichen Maßstäben beurteilt werden; die
AHP stellen insoweit ein geeignetes, auf Erfahrungswerten der Versorgungsverwaltung und Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft beruhendes Beurteilungsgefüge zur Einschätzung der
GdB/
MdE dar (
vgl. OVG Bremen, a.a.O. Rn. 66 mit Verweis auf
BSG, Urteil vom 18. September 2003 -
B 9 SB 3/02 R. - BSGE 91, 205
ff.). Dabei ist jedoch zu beachten, dass der im sozialen Entschädigungsrecht maßgebliche Grad der Behinderung auch Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen auf andere Bereiche als das Erwerbsleben berücksichtigt und eine ursachenunabhängige - nicht dienstunfallabhängige - Betrachtung erfordert. Daher sind die im Verfahren nach dem Schwerbehindertengesetz
bzw. nach dem 9. Buch Sozialgesetzbuch (
SGB IX) getroffenen Feststellungen des Versorgungsamtes nicht bindend für das Verfahren wegen Unfallausgleich nach dem Beamtenversorgungsgesetz (
vgl. BVerwG, Urteil vom 21. September 2000 -
2 C 27.99 - BVerwGE 112, 92, 97 f.).
Nach Teil A
Nr. 18
Abs. 4
AHP sind die Schädigungsfolgen für jeweils ein Funktionssystem zusammenfassend zu beurteilen; soweit verschiedene Funktionssysteme - wie hier - beeinträchtigt sind, sind nach Teil A
Nr. 19
Abs. 1-3
AHP jeweils Einzel-
MdE-Grade und dann ein Gesamt-
MdE-Grad anzugeben, wobei die einzelnen Werte nicht addiert werden dürfen. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander. Bei der Gesamtwürdigung der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen sind dabei Vergleiche mit den Gesundheitsschäden anzustellen, zu denen in der Tabelle feste
GdB/
MdE-Werte angegeben sind. Das bedeutet, dass ein Gesamt-
MdE-Grad von 50 beispielsweise nur angenommen werden kann, wenn die Gesamtauswirkung der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen so erheblich ist wie beim Verlust einer Hand oder eines Beines im Unterschenkel. Bei der Beurteilung des Gesamt-
MdE-Grades ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-
MdE-Grad bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten
MdE-Grad 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden (Teil A
Nr. 19
Abs. 3
AHP).
Die Funktionsbeeinträchtigung, die vorliegend den höchsten Einzel-
MdE-Grad bedingt, betrifft die Funktion der rechten Hand des Klägers. Diese ist vom Gutachter
Dr. E... im Ergebnis nachvollziehbar und überzeugend mit einer Einzel-
MdE von 20 v.H. bewertet worden. Die Bewertung mit einer Einzel-
MdE von 30 v.H. durch die Gutachterin
Dr. W... erscheint demgegenüber unter Berücksichtigung der in der
GdB/
MdE Tabelle in Teil A
Nr. 26.18
AHP (
S. 121) angegebenen Werte als unschlüssig. Denn hiernach wird der Verlust von einem Finger (nicht Daumen) mit einer
MdE von 10 v.H., der Verlust von zwei Fingern mit einer
MdE von 25 bis 30 v.H. und der Verlust von drei Fingern mit einer
MdE von 30 bis 40 v.H. bewertet. Die beim Kläger vorliegenden Funktionseinschränkungen der Finger der rechten Hand stellen zwar deutliche Einschränkungen dar, aufgrund der vorhandenen Restfunktion der Finger erscheint jedoch eine Bewertung unterhalb der Funktionseinschränkung, die bei Verlust mehrerer Finger vorläge, notwendig. Hiervon ist auch das Verwaltungsgericht ausgegangen. Der Kläger zieht diese Bewertung ebenfalls nicht in Zweifel.
Die weiteren Funktionseinschränkungen kosmetischer und funktioneller Art die Nase betreffend, die vom Gutachter
Dr. L... mit einer
MdE von 10 v.H. für den kosmetischen Bereich und ebenfalls mit einer
MdE von 10 v.H. für die funktionelle Störung bewertet worden sind, rechtfertigen entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts keine Erhöhung des Gesamt-
MdE-Grades. Nach Teil A
Nr. 19
Abs. 4
AHP führen von Ausnahmefällen (
z.B. hochgradige Schwerhörigkeit eines Ohres bei schwerer beidseitiger Einschränkung der Sehfähigkeit) abgesehen zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen
GdB/
MdE-Grad von 10 v.H. bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte, und zwar auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem
GdB/
MdE-Grad von 20 v.H. ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Die vom Gutachter
Dr. L... festgestellten Beeinträchtigungen stellen solche leichten Gesundheitsstörungen dar. Sie sind jeweils (unstreitig) nur mit einem
MdE-Grad von 10 v.H. bewertet worden und erhöhen den Gesamt-
MdE-Grad von 20 v.H. nicht. Für das Vorliegen eines in Teil A
Nr. 19
Abs. 4
AHP genannten Ausnahmefalles ist nichts erkennbar. Auch das Verwaltungsgericht hat einen solchen Ausnahmefall nicht begründet. Es weist zwar zu Recht darauf hin, dass die Beeinträchtigungen die Nase betreffend neben die Funktionseinschränkung der rechten Hand treten und es auch zu einer zusätzlichen Einschränkung des Maßes der Erwerbsmöglichkeit für den Kläger kommen kann. Es übersieht jedoch bei seiner rechtlichen Beurteilung das (relative) Erhöhungsverbot in Teil A
Nr. 19
Abs. 4
AHP, jedenfalls setzt es sich nicht mit ihm auseinander. Hintergrund des Erhöhungsverbotes ist, dass Auswirkungen einer nur mit einer Einzel-
MdE von 10 v.H. bewerteten Funktionsstörung die Gesamt-
MdE in aller Regel deshalb nicht zu erhöhen vermögen, weil sie zu geringfügig sind. Die
AHP drücken dies durch die Formulierungen "leichte Gesundheitsstörungen" und "wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung" aus. Das Erhöhungsverbot in Teil A
Nr. 19
Abs. 4
AHP gilt dabei nicht nur in Fällen, in denen verschiedene Funktionsbeeinträchtigungen in einem Lebensbereich betroffen sind, sondern auch dann, wenn die Funktionsbeeinträchtigungen verschiedene Lebensbereiche erfassen. Eine Erhöhung des Gesamt-
MdE-Grades wegen eines zusätzlichen Einzel-
MdE-Grades von 10 v.H. und damit ein Ausnahmefall im Sinne der
AHP kommt nur dann in Betracht, wenn sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt, wie dies der in den
AHP angeführte Fall hochgradiger Schwerhörigkeit eines Ohres bei schwerer beidseitiger Einschränkung der Sehfähigkeit verdeutlicht (
vgl. BSG, Urteil vom 13. Dezember 2000 -
B 9 V 8/00 R - juris, Rn. 16). Für eine solche vergleichbar nachteilige Auswirkung ist vorliegend nichts ersichtlich. Die Beeinträchtigungen an der Nase stehen vielmehr selbständig als zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen neben der Funktionsbeeinträchtigung der rechten Hand.
Soweit der Kläger geltend macht, der Gutachter
Dr. L... habe für den HNO-Bereich eine
MdE von 20 v.H. angenommen, verkennt er, dass eine Addition der Einzel-
MdE-Grade nach Teil A
Nr. 19
Abs. 1
AHP nicht vorzunehmen ist. Zudem wäre selbst dann, wenn man die Funktionsbeeinträchtigungen im HNO-Bereich mit einem
MdE-Grad von 20 v.H. bewertete, eine Erhöhung des Gesamt-
MdE-Grades von 20 v.H. auf mindestens 30 v.H. nicht gerechtfertigt. Denn es fehlt an Anhaltspunkten, die auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung im Sinne einer besonders nachteiligen Auswirkung auf die Funktionsbeeinträchtigungen an der rechten Hand schließen lassen (
vgl. Teil A
Nr. 19
Abs. 4 Satz 2
AHP). Weder die eingeschränkte Atmungsfunktion der Nase noch die "einfache Entstellung" stehen in einem funktionalen sich gegenseitig bedingenden Zusammenhang zur Funktionseinschränkung der Finger der rechten Hand.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154
Abs. 1
VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167
Abs. 1
VwGO, § 708
Nr. 10, § 711
ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132
Abs. 2
VwGO, § 127 BRRG liegen nicht vor.