I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 05.05.2010 wird zurückgewiesen, soweit sie über das angenommene Teilanerkenntnis vom 15.03.2011 hinausgeht.
II. Die Beklagte erstattet der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu einem Drittel.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Klägerin begehrt die Feststellung weiterer Unfallfolgen auf nervenfachärztlichem Gebiet sowie die Bewilligung einer Verletztenrente gemäß § 56
Abs.1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung (
SGB VII).
Die 1954 geborene Klägerin hat am 20.07.2006 einen Arbeitsunfall erlitten. Zum Unfallzeitpunkt ist die Klägerin als Mitarbeiterin bei der T.
AG auf einem Seminar in N. gewesen. Der Unfall hat sich ereignet, als die Klägerin am Hauptbahnhof eine Busfahrkarte für die Rückreise hat erwerben wollen. Der Bus der Verkehrsbetriebe ist mit der Straßenbahn kollidiert. Ausweislich der Unfallanzeige der T.
AG vom 14.08.2006 ist die Klägerin durch die Wucht des Aufpralls durch eine Scheibe aus dem Bus geschleudert worden. Der Chefarzt der Städtischen Kliniken N.
Dr.H. hat mit Durchgangsarztbericht vom 24.07.2006 folgende Erstdiagnose gestellt: BWK XI- und XII-Vorderkantenfraktur, stabil; Nasenbeinfraktur; Prellung des Schädels; Schnittwunden im Gesicht, rechter Unterschenkel und rechten Ellenbogen;
HWS-Distorsion; obere vordere Schneidezähne abgebrochen.
Die Städtischen Kliniken N. haben mit Verlegungsbericht vom 25.07.2006 mitgeteilt, dass aufgrund des am 24.07.2006 durchgeführten Schädel-CT eine intracerebrale Blutung hat ausgeschlossen werden können. Wegen gelegentlicher Sehstörungen werde eine augenärztliche Konsiliaruntersuchung empfohlen. Die weitere Behandlung ist in der
BG-Unfallklinik M. durchgeführt worden. Der Facharzt für Chirurgie F. hat mit Zwischenbericht vom 08.08.2006 folgenden Befund beschrieben:
HWS-Distorsion, Deckplattenbruch 11. und 12. Brustwirbel, Gesichtsprellung, Nasenbeinbruch, Zahnschaden im Oberkiefer, Schnittwunde am rechten Arm, posttraumatisches Psychosyndrom. Die Verletzte klagt jetzt noch über Rückenschmerzen, Nackenschmerzen besonders an der linken Seite sowie über Kopfschmerzen. Sie trägt ein Dreipunkte-Abstützmieder; an der linken Nacken-Halsseite Druckempfindlichkeit und Muskelverspannung; im Ellenbogenbereich rechts noch etwas frisch aussehende wulstige Narben; Schwellung am Nasenrücken.
Die Klägerin ist am 03.08.2006 aus der stationären Behandlung der
BG-Unfallklinik M. entlassen worden.
Prof.Dr.B. hat mit Abschlussbericht vom 08.08.2006 hat darauf hingewiesen, dass vorübergehend eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (
MdE) in rentenberechtigendem Ausmaß in Betracht komme.
Die Klägerin hat sich am 24.08.2006 zu einem ausführlichen Erstgespräch in psychotherapeutischer Behandlung bei
Dr.H. gegeben. Dieser hat unter dem 27.08.2006 berichtet, dass sich bei der Klägerin seit der Entlassung aus der Krankenhausbehandlung zunehmend ein depressives Syndrom mit ausgeprägter Schlafstörung, Niedergeschlagenheit und resignativer Stimmung bis hin zur Verzweiflung entwickelt habe. Subjektiv erlebe die Klägerin die depressive Entwicklung vor allem als Folge ihrer Hilflosigkeit, ihrer weitgehenden Bewegungseinschränkung, ihrer Abhängigkeit von Hilfestellungen sowie ihrem passiven Ausgeliefert sein. Diese seelische Reaktion auf das Unfallgeschehen mit den bekannten Folgen lasse sich aufgrund der Lebensgeschichte und den damit zusammenhängenden Persönlichkeitsmerkmalen gut verstehen (nichtehelich geboren, Mutter 19 Jahre, Vater in Deutschland stationierter schwarzer Amerikaner, ganz überwiegendes Aufwachsen bei den Großeltern, soziale Demütigungen als "Mischlingsmädchen" ab Beginn der Schulzeit, kontraphobische Verarbeitung von Kränkungen, Entwicklung einer passiven Lebenseinstellung bei negativem mütterlichen Vorbild).
Der Chirurg F. hat mit Befundbericht vom 28.09.2006 mitgeteilt, dass bei der Klägerin jetzt eine psychische Problematik im Vordergrund stehe, die offenbar zum Teil auch in häuslichen Problemen ihre Ursache habe. Die Psychotherapeutin A. (Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik M.) hat mit psychologischem Bericht vom 05.10.2006 mitgeteilt, im Screening-Bogen zur posttraumatischen Belastungsstörung habe die Klägerin einen Wert von 9 Punkten bei einer Gesamtpunktzahl von 10 erreicht. Wegen der Intensität der PTBS-Symptomatik erscheine eine psychopharmakologische Begleitmedikation dringend angezeigt. Als Folgen des Unfalles vom 20.07.2006 finde sich auf psychologischem Fachgebiet das Vollbild einer posttraumatischen Belastungsstörung. Entsprechende stationäre und ambulante Behandlungsmaßnahmen würden befürwortet.
Dr.J. (Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik M.) hat mit umfassendem 15-seitigem nervenärztlichen Befundbericht vom 02.10.2008 ausgeführt, dass hausärztlicherseits bereits Opipramol in einer Tagesdosis von 50 mG verschrieben worden sei. Eine Dosissteigerung auf 100 mg sei angeraten. Weitere diagnostische Maßnahmen (Schädel-CT, HNO- und augenärztliche Untersuchungen) seien angezeigt.
Prof. Dr. B. hat am 31.10.2006 aus unfallchirurgischer Sicht berichtet, dass sich bei der klinischen Untersuchung noch eine deutliche Druck- und Klopfschmerzhaftigkeit über den Dornfortsätzen der stattgehabten Wirbelfraktur gezeigt hätte; die Beweglichkeit der
BWS und
LWS sei endgradig eingeschränkt. - Im Rahmen der stationären Rehabilitationsmaßnahme beginnend ab 14.11.2006 in der Klinik A. hat
Dr.V. (Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie) geschildert, dass bei der stationären Aufnahme der Klägerin ein depressives Zustandsbild einhergehend mit der Symptomatik einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung bestanden habe. Eine entsprechende Traumatherapie sei eingeleitet worden; diese sei stationär bis 19.12.2006 erforderlich.
Dr.V. hat mit Entlassungsbericht vom 27.12.2006 den Werdegang der Klägerin wie folgt wiedergegeben: Nach dem Volksschulbesuch und einjähriger Hauswirtschaftsschule sowie einjährigem Praktikum in einem Krankenhaus Lehre zur Friseurin. Danach Besuch einer Berufsaufbauschule mit Abschluss der Mittleren Reife. Danach sei die Patientin als Drachenfluglehrerin tätig geworden; sie habe mit ihrem Ehemann eine Flugschule aufgebaut, die bis heute weiter betrieben würde, jedoch inzwischen in sehr kleiner Form. In Abendkursen Ausbildung zur Bürokraft mit Abschluss vor der Industrie- und Handelskammer. Seit 1993 bei der T.
AG bis heute beschäftigt. Während der letzten Jahre häufige Versetzungen im Bereich der T ... Derzeit arbeite die Klägerin in einem Call-Center mit 20 Stunden pro Woche. Die Arbeit empfinde sie als sehr stressig und hektisch, die Arbeitsbedingungen seien in den letzten Jahren zunehmend schlechter geworden. Ständig stünden Rationalisierungsmaßnahmen im Raum, die einen deutlichen Leistungsdruck vermittelten. Eine dauerhafte Arbeitsunfähigkeit über den Zeitraum von sechs Monaten sei nicht zu erwarten. Für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit in einem Call-Center mit besonderen Anforderungen an die Konzentrationsfähigkeit erscheine die Patientin unter günstigen Bedingungen mit erfolgreicher ambulanter Therapie derzeit nur in einem zeitlich begrenzten Rahmen belastbar. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sei die Klägerin für leichte Arbeiten untervollschichtig belastbar. Einschränkungen ergäben sich aus psychotherapeutischer Sicht hinsichtlich Tätigkeiten mit ständigen Anforderungen an das Anpassungs- und Umstellungsvermögen sowie das Konzentrations- und Merkvermögen. Eine weitere ambulante Psychotherapie mit psychopharmakologischer Behandlung (Doxepin) werde empfohlen. Ferner bestehe ein erheblicher Konflikt mit dem Sohn wegen Alkohol- und Verhaltensproblemen.
Der Psychotherapeut
S. hat am 25.06.2007 einen Behandlungsbericht erstellt. Danach leide die Klägerin immer noch erheblich unter den körperlichen und psychischen Unfallfolgen. Sie schildere nach wie vor starke Schmerzzustände und sei in ihrer Beweglichkeit erheblich eingeschränkt. Extrem belastend sei für sie, dass sie das Gleitschirmfliegen nicht mehr ausüben könne. Sie habe die Fliegerkollegen als wichtiges soziales Umfeld verloren. Hinsichtlich des problematischen 17 Jahre alten Sohnes (ADHS) zeichne sich insoweit eine Lösung ab, als dieser für ein Jahr auf eine Farm nach Afrika gehen werde.
Dr. V. (Klinik A.) hat unter dem 20.07.2006 eine posttraumatische Belastungsstörung, eine schwere depressive Episode sowie eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung diagnostiziert. Das bewilligte Heilverfahren sei um drei Wochen bis zum 16.08.2007 zu verlängern.
Dr. V. hat mit Entlassungsbericht vom 30.08.2007 darauf hingewiesen, dass die Klägerin in ihrer Belastbarkeit erheblich eingeschränkt sei. Es werde deutlich, dass eine konkurrenzfähige Wiederaufnahme einer Tätigkeit zum derzeitigen Zeitpunkt nicht durchgeführt werden könne.
Die Beklagte hat im Folgenden das nervenfachärztliche Gutachten des
Dr. M. vom 18.12.2007 eingeholt. Aufgrund der vorbestehenden Persönlichkeitsstruktur der Klägerin sowie einer vorbestehenden depressiven Symptomatik in Zusammenhang mit familiären Schwierigkeiten sei es unfallbedingt nur zu einer vorübergehenden Verschlimmerung der bestehenden Vorerkrankung gekommen. Eine Schmerzsymptomatik, die die Diagnose einer somatoformen Schmerzstörung begründen könnte, sei nicht zu objektivieren gewesen.
Die Beklagte hat mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 07.02.2008 das Ereignis vom 20.07.2006 als Arbeitsunfall anerkannt. Bei der durchgangsärztlichen Untersuchung am 20.07.2006 durch
Dr. H. seien eine Vorderkantenfraktur des XI- und XII-Brustwirbelkör-pers (BWK), eine stabile Nasenbeinfraktur, eine Prellung am Schädel, Schnittwunden im Gesicht, am rechten Unterschenkel und am rechten Ellenbogen, eine Distorsion an der Halswirbelsäule sowie abgebrochene obere vordere Schneidezähne diagnostiziert worden. Die neurologisch-psychiatrische Erkrankung ab 17.08.2007 sei jedoch keine Folge des Arbeitsunfalles vom 20.07.2006. Nach gutachterlicher Einschätzung sei spätestens nach Entlassung am 16.08.2007 aus der Klinik A. von einer Verschiebung der Wesensgrundlage auszugehen.
Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens hat die Beklagte das psychiatrische Gutachten des
Dr. G. vom 07.05.2007 beigezogen, das dieser für die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See gefertigt hat. Danach sei der jetzige Zustand (posttraumatische Belastungsstörung, derzeit mittelschwere depressive Episode, somatoforme Schmerzstörung) eindeutig Folge des Unfalles vom 20.07.2006. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bestehe eine Leistungsfähigkeit von unter drei Stunden. Das Zentrum Bayern Familie und Soziales Region Oberbayern hat mit Bescheid vom 08.03.2007 nach dem Schwerbehindertenrecht (nunmehr:
SGB IX) einen Grad der Behinderung (
GdB) von 40 festgestellt. Hierbei sind unabhängig von der Ursache nachstehende Gesundheitsstörungen berücksichtigt worden: Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen, mit Verformung verheilter Wirbelbruch, sekundäre Kopfschmerzen (Einzel-
GdB 30); seelische Störung (Einzel-
GdB 20).
Die Beklagte hat die Unterlagen als nicht für eine Entscheidungsgrundlage geeignet erachtet, da sie nicht auf die Zusammenhangsfrage eingehen würden und deshalb den Widerspruch gegen den Bescheid vom 07.02.2008 mit Widerspruchsbescheid vom 26.02.2009 zurückgewiesen.
Im Rahmen des sich anschließenden Klageverfahrens hat das Sozialgericht München Befundberichte von
Dr. M.,
Dr. S.,
Dr. R. und dem Psychotherapeuten
S. beigezogen, ebenso die Unterlagen der Klinik A. und den Änderungsbescheid des Zentrums Bayern Familie und Soziales Region Oberbayern vom 22.11.2007. Danach ist zwischenzeitlich ein
GdB von 50 festgestellt worden, weil die seelische Störung nunmehr mit einem Einzel-
GdB von 30 gewertet worden ist.
Im Folgenden hat das Sozialgericht München
Dr. B. gemäß § 106
Abs. 3
Nr. 5 des Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) gehört. Dieser ist mit nervenärztlichem Gutachten vom 01.10.2009 zu dem Ergebnis gekommen, dass durch den Unfall vom 20.07.2006 folgende Gesundheitsstörungen verursacht
bzw. mitverursacht worden sind: Erlebnisreaktion mit depressiver Symptomatik, posttraumatische Spannungskopfschmerzen, Rückenschmerzen leichter bis mäßiger Ausprägung bei Zustand nach BWK-11- und -12-Fraktur ohne Hinterkantenbeteiligung. Spätestens seit der Entlassung aus der W.-Klinik im August 2007 (= Klinik A.) sei von einer Verschiebung der Wesensgrundlage der depressiven Störung auszugehen. Unfallbedingt bestehe eine
MdE von maximal 10 v.H. Hierauf gestützt hat das Sozialgericht München die Klage gegen den Bescheid vom 07.02.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.02.2009 mit Urteil vom 05.05.2010 abgewiesen.
Der Bevollmächtigte der Klägerin hob mit Berufungsbegründung vom 21.05.2010 hervor, dass die Klägerin an einer posttraumatischen Belastungsstörung leide, die originär bei dem Unfall vom 20.07.2006 entstanden sei. Hieraus habe sich eine somatoforme Störung als direkte Unfallfolge entwickelt. Eine weitere Sachverhaltsaufklärung auf nervenfachärztlichem Gebiet sei erforderlich.
Von Seiten des Senats wurden die Unfall-Akten der Beklagten sowie die erstinstanzlichen Streitakten beigezogen. Die nach § 106
Abs.3
Nr.5
SGG gehörte Sachverständige
Dr. C. diagnostizierte mit nervenärztlichem Gutachten vom 31.08.2010 eine "Teilsymptomatik einer posttraumatischen Belastungsstörung" als unfallbedingt. Die hauptsächlichen Erkrankungsbilder der chronischen Schmerzstörung und der Depression seien jedoch nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit wesentlich auf den Unfall vom 20.07.2006 zurückzuführen. Die unfallbedingte
MdE betrage 20 v.H. unter Einbeziehung auch von Teilen einer depressiven Verstimmung sowie einer somatoformen Schmerzstörung und diskreten Restfolgen der seinerzeitigen organischen Schädigungen. Zur Begründung verwies
Dr. C. hierbei vor allem auf die Intrusionen und noch stärker das Vermeidensverhalten bei öffentlichen Verkehrsmitteln sowie Teile des sozialen Rückzugs, auch der Schlafstörungen und der ängstlich-depressiven Verstimmung der Klägerin.
Die Beklagte legte die beratungsärztliche Stellungnahme des Nervenfacharztes
Dr. M. vom 04.11.2010 vor. Danach bestehe bei der Klägerin eine "Restsymptomatik einer psychoreaktiven Störung mit Erinnerungen an den Unfall und Vermeidung von öffentlichen Verkehrsmitteln". Die situationsgebundenen Wiedererinnerungen und das Vermeiden von öffentlichen Verkehrsmitteln bei der Möglichkeit von Autofahrten über kürzere Strecken entspräche im Wesentlichen einer Angstsymptomatik in eng begrenzten und für die Arbeitswelt wenig bestimmenden Situationen mit einer
MdE von 10 v.H. Im Übrigen sei nach Aktenlage nachvollziehbar, dass in Bezug auf die depressive Störung eine Verschiebung der Wesensgrundlage vorliege; ein sozialer Rückzug, Schlafstörungen und eine ängstlich-depressive Verstimmung seien nicht mehr wesentlich auf den Unfall vom 20.06.2007 zurückzuführen.
Um Stellungnahme gebeten führte
Dr. C. unter dem 22.11. sowie 30.11.2010 aus, dass sich die psychoreaktive Symptomatik nicht allein auf das Vermeidensverhalten bezüglich öffentlicher Verkehrsmittel reduzieren lasse. Aufgrund ihrer diesbezüglichen Ängste könne die Klägerin auch nicht uneingeschränkt mit dem Auto an jede Arbeitsstelle gelangen. Nachdem bereits eine Flugangst mit einer
MdE bis 10 v.H. bewertet werden solle, sei im Falle der Klägerin eine
MdE von 20 v.H. angemessen. Die "Teilsymptomatik einer posttraumatischen Belastungsstörung" wäre ohne den Unfall nicht entstanden; bei der
MdE-Bewertung seien auch Teile der Depression und der Schlafstörung mit eingegangen.
Gestützt auf die weitere beratungsärztliche Stellungnahme des
Dr. M. vom 22.01.2011 hielt die Beklagte an ihrer Auffassung fest, dass eine
MdE in rentenberechtigendem Grade nicht vorliege, weil bereits die Diagnose einer "Teilsymptomatik einer posttraumatischen Belastungsstörung" nicht im Vollbeweis gesichert sei. Es werde angeregt, eine ergänzende Stellungnahme bei
Dr. B. einzuholen.
In der mündlichen Verhandlung vom 15.03.2011 anerkannte die Beklagten als weitere Unfallfolge "psychoreaktive Störungen in Form eines Vermeidungsverhaltens".
Der Bevollmächtigte der Klägerin nahm dies im Einvernehmen mit der Klägerin als Teilanerkenntnis an.
Der Bevollmächtigte der Klägerin stellt den Antrag aus dem Schriftsatz vom 21.05.2010 mit der Maßgabe,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 05.05.2010 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 07.02.2008 in der Form des Widerspruchsbescheides vom 26.02.2009 zu verurteilen, eine "posttraumatischen Belastungsstörung" als weitere Unfallfolge anzuerkennen und Verletztenrente zu gewähren.
Die Bevollmächtigte der Beklagten stellt den Antrag aus dem Schriftsatz vom 10.06.2010.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird gemäß § 202
SGG in Verbindung mit § 540 der Zivilprozessordnung (
ZPO) sowie entsprechend § 136
Abs.2
SGG auf die Unterlagen der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist gemäß §§ 143, 144 und 151
SGG zulässig, jedoch unbegründet, soweit sie über das in der mündlichen Verhandlung vom 15.03.2011 angenommene Teilanerkenntnis hinausgeht.
Gesundheits- oder Körperschäden sind Folgen eines Arbeitsunfalls, wenn sie mit hinreichender Wahrscheinlichkeit wesentlich ursächlich oder mitursächlich auf den Unfall zurückzuführen sind. Dabei müssen die Gesundheits- und Körperschäden "voll", das heißt mit an Sicherheit grenzender, vernünftige Zweifel ausschließender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein. Dagegen gilt die Beweiserleichterung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit für den ursächlichen Zusammenhang im Sinne der wesentlichen Bedingung zwischen der versicherten Tätigkeit und der zum Unfall führenden Verrichtung und dem Unfall selbst sowie zwischen dem Unfall und der maßgebenden Erkrankung. Nach dem in der Unfallversicherung geltenden Prinzip der wesentlichen Mitverursachung ist nur diejenige Bedingung als ursächlich für einen Unfall anzusehen, die im Verhältnis zu anderen Umständen wegen der besonderen Beziehung zum Erfolg und dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat. Die Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs zwischen einem Körper- und Gesundheitsschaden und dem Arbeitsunfall ist gegeben, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände die auf dem Unfall beruhenden Faktoren so stark überwiegen, dass darauf die Entscheidung gestützt werden kann und wenn die gegen den ursächlichen Zusammenhang sprechenden Faktoren außer Betracht bleiben können, das heißt nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen Zusammenhang spricht und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden (
vgl. BSGE 32, 203, 209; 45, 285, 286).
Hiervon ausgehend ist der Senat in Übereinstimmung mit dem Teilanerkenntnis der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 15.03.2011 zu der Überzeugung gelangt, dass bei der Klägerin als weitere Unfallfolge "psychoreaktive Störungen in Form eines Vermeidungsverhaltens" anzuerkennen sind, nicht jedoch eine posttraumatische Belastungsstörung oder eine Teilsymptomatik derselben.
Denn entsprechend den gutachtlichen Voten des
Dr. M. vom 18.12.2007 und des
Dr. B. vom 01.10.2009 sowie den Stellungnahmen des
Dr. M. vom 04.11.2010 und 22.01.2011 beruht die bei der Klägerin vorliegende psychische Störung im Wesentlichen auf unfallfremden Ereignissen (nichteheliche Geburt, Mutter 19 Jahre, Vater in Deutschland stationierter schwarzer Amerikaner, ganz überwiegendes Aufwachsen bei den Großeltern, soziale Demütigungen ab Beginn der Schulzeit, contraphobische Verarbeitung von Kränkungen, Entwicklung einer passiven Lebenseinstellung bei negativem mütterlichen Vorbild, familiäre Konfliktsituation mit dem Sohn wegen dessen Alkohol- und Verhaltensproblemen).
Die seelische Reaktion auf das Unfallgeschehen ist zur Überzeugung des Senats von
Dr. C. mit Gutachten vom 31.08.2010 und ergänzender Stellungnahme vom 22.11.2010 unzutreffend gewichtet worden. Vor allem hat
Dr. C. nicht ausreichend beachtet, dass trotz der Schwere des Unfalles vom 20.07.2006 spätestens mit Entlassung aus der Klinik A. am 16.08.2007 eine Verschiebung der Wesensgrundlage der depressiven Störung stattgefunden hat. Insoweit sind die gutachterlichen Ausführungen der
Dr. C. nicht stringent, wenn sie sich einerseits sehr differenziert dahingehend geäußert hat, dass die hauptsächlichen Erkrankungsbilder der chronischen Schmerzstörung und der Depression nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit wesentlich auf den Unfall vom 20.07.2006 zurückzuführen sind (insoweit stimmt sie mit den gutachtlichen Ausführungen des
Dr. M. vom 18.12.2007 und des
Dr. B. vom 01.10.2009 überein), andererseits den Wegfall sozialer Kontakte sowie Schlafstörungen und Alpträume einbezieht.
Unfallbedingt besteht entsprechend der schlüssigen und überzeugenden Stellungnahme des
Dr. M. vom 04.11.2010 bei der Klägerin eine Restsymptomatik einer psychoreaktiven Störung mit Erinnerungen an den Unfall und Vermeidung von öffentlichen Verkehrsmitteln. Die situationsgebundene Wiedererinnerungen und das Vermeiden von öffentlichen Verkehrsmitteln bei der Möglichkeit von Autofahrten über kürzere Strecken entsprechen im Wesentlichen einer Angstsymptomatik in eng begrenztem Umfang. Die Beklagte hat daher somit zutreffend in der mündlichen Verhandlung vom 15.03.2011 als weitere Unfallfolge "psychoreaktive Störungen in Form eines Vermeidungsverhaltens" anerkannt. Die bei der Klägerin in Zusammenhang mit dem Unfall vom 20.07.2006
ca. ein- bis zweimal jährlich auftretenden Albträume sind hierbei mitberücksichtigt, da von weit untergeordneter Bedeutung. Diese wirken sich nicht auf die Arbeitsfähigkeit der Klägerin aus.
Eine
MdE von 20 v.H. im Sinne von § 56
Abs. 1 Satz 1
SGB VII wird nicht erreicht. Denn gemäß § 56
Abs. 1 und 2
SGB VII wird der Begriff der
MdE entsprechend der Rechtsprechung im Sinne einer abstrakten Schadensbemessung definiert. Positiv ausgedrückt wird mit dem Begriff der
MdE eine auf die Tätigkeiten im Erwerbsleben allgemein bezogene Funktionsbeurteilung vorgenommen (Kranig in Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch Gesetzliche Unfallversicherung, Rz. 1 zu 56
SGB VII mit weiteren Nachweisen). Hierbei sind die sogenannten "Erfahrungswerte" zu Grunde zu legen, die das Gericht nach § 128
Abs. 1 Satz 1
SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft (
BSG, Urteil vom 02.05.2001 -
B 2 U 24/00 R).
Bei der Bewertung der
MdE ist auch für den Bereich der psychischen Störungen auf die Funktionsstörungen und deren Auswirkung auf das Leistungsvermögen im Erwerbsleben abzustellen (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl., Rz. 5.1.16). Das bei der Klägerin bestehende Vermeidungsverhalten wirkt sich vor allem auf deren Mobilität aus. Öffentliche Verkehrsmittel werden nicht mehr benutzt. Es handelt sich somit um eine spezifische isolierte Phobie, die sich wie
z.B. eine Flugangst auf die Arbeitswelt nur in engbegrenztem Umfang auswirkt, weil die Klägerin noch in der Lage ist, mit gewissen Einschränkungen Pkw zu fahren. Eine
MdE von 10 v.H. ist hierfür angemessen und ausreichend. Ein langsames und bedächtiges Fahren wie beschrieben schließt das Erreichen eines Arbeitsplatzes in angemessener Entfernung und Zeit nicht aus, auch wenn die Klägerin sich bevorzugt von ihrem Ehegatten fahren lässt.
Nach alledem ist die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 05.05.2010 zurückzuweisen, soweit sie über das angenommene Teilanerkenntnis vom 15.03.2011 hinausgeht.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 183, 193
SGG und berücksichtigt das teilweise Obsiegen der Klägerin.
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160
Abs. 2 Nrn. 1 und 2
SGG).