Die Klägerin begehrt die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung - (
SGB VI).
Die 1964 geborene Klägerin absolvierte eine Ausbildung zur staatlich geprüften Wirtschafterin, die sie im Juni 1983 abschloss. Zuletzt war sie seit 2006 als Großküchenkraft in einer Jugendherberge im Schichtdienst versicherungspflichtig beschäftigt. Ab dem 16.11.2016 erkrankte die Klägerin arbeitsunfähig; sie bezog seit dem 28.12.2016 Krankengeld und anschließend bis zum 14.08.2019 Arbeitslosengeld. Seitdem bezog die Klägerin keine existenzsichernden Leistungen. Bei ihr ist seit dem 29.12.2016 ein Grad der Behinderung (
GdB) von 50 festgestellt (Bescheid des Kreises Euskirchen vom 23.10.2017).
In einem Haushalt mit der Klägerin leben durchgehend ihr Ehemann, der Zeuge I H, sowie ihr Sohn, der Zeuge N H. Bis Mai 2020 lebten in diesem Haushalt zudem ihr weiterer Sohn E H und dessen Ehefrau. Die Klägerin verfügt über eine gültige Fahrerlaubnis für Personenkraftwagen (Pkw). Auf sie war seit April 2016 ein Pkw Opel Astra (amtliches Kennzeichen:
EU-XX 00) zugelassen. Dieser wurde von ihr mit Wirkung zum 11.09.2019 ab- und unmittelbar anschließend von ihrem Sohn E H auf sich angemeldet. Auf den Ehemann der Klägerin sind ein Pkw VW Touran sowie ein Pkw Seat Leon angemeldet. Ein weiteres Fahrzeug, ein Fiat Punto (amtliches Kennzeichen:
EU-X 000), das ebenfalls auf den Ehemann der Klägerin angemeldet war, wurde am 06.02.2020 abgemeldet. Der Ehemann der Klägerin und deren Söhne N und E H sind jedenfalls seit Herbst 2017 durchgehend an den jeweiligen Arbeitsstätten berufstätig; zusätzlich betreibt der Ehemann der Klägerin ein Kleingewerbe mit Brennholz.
Am 23.10.2017 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente und verwies zur Begründung auf ihre seit November 2016 bestehende Arbeitsunfähigkeit. Sie leide unter extremen Schuppenflechten und Arthrose sowie Störungen der Gelenke, der Wirbelsäule und der Psyche. Im Auftrag der Beklagten erstellte die Ärztin für Physikalische und Rehabilitative Medizin
Dr. T am 28.11.2017 ein Gutachten, in dem sie als Diagnosen Schuppenflechte mit ausgedehnten Funktionseinschränkungen der Gelenke und Hautbeteiligung, schmerzhafte Bewegungseinschränkung im Halswirbelsäulen (
HWS)- und Lendenwirbelsäulen (
LWS)-Bereich bei degenerativen Veränderungen sowie bei degenerativen Veränderungen im Hüftdarmbein-Bereich beidseitig, starkes Übergewicht, eine depressive Störung sowie Bluthochdruck und Nikotinkonsum angab. Eine Tätigkeit als Hauswirtschafterin könne sie nur noch unter drei Stunden täglich ausüben; auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könne sie noch leichte bis mittelschwere Arbeiten zeitweise im Gehen, Stehen oder Sitzen unter Beachtung qualitativer Einschränkungen insbesondere im Bewegungs-/Haltungsapparat sechs Stunden und mehr täglich ausüben.
Mit Bescheid vom 05.12.2017 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab. Die Klägerin könne nach den medizinischen Ermittlungen noch mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein.
Zur Begründung des dagegen am 18.12.2017 erhobenen Widerspruchs führte die Klägerin aus, die Einschränkungen psychiatrischer, internistischer und orthopädischer Art seien gravierend; die Leistungsbeurteilung werde ihrem schlechten Gesundheitszustand nicht gerecht. Die ausgeprägte Schmerzsymptomatik sei durch
Dr. T nicht weiter exploriert worden; zudem seien die negativen Wechselwirkungen dieser Beschwerdekomplexe nicht geprüft und erörtert worden. Tatsächlich sei ihr Leistungsvermögen vollständig aufgehoben.
Für die Beklagte erstellte hierauf der Neurologe und Psychiater
Dr. S am 03.04.2018 ein Gutachten und diagnostizierte eine neurotische Depression, ein beidseitiges Karpaltunnelsyndrom und Kreuzschmerzen. Die Klägerin sei in der Lage, leichte körperliche Tätigkeiten zeitweise im Stehen und Gehen oder ständig im Sitzen unter weiteren qualitativen Einschränkungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in einem Umfang von täglich sechs Stunden und mehr zu erbringen. Mit Widerspruchsbescheid vom 07.06.2018 wies die Beklagte daraufhin den Widerspruch zurück.
Hiergegen hat die Klägerin am 09.07.2018 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Köln erhoben. Zur Begründung hat sie über ihr bisheriges Vorbringen hinaus ausgeführt, dass sie aufgrund der umfangreichen orthopädischen Beschwerden keine sitzende Tätigkeit ausführen könne. Auch fehle weiterhin eine zusammenfassende, medizinisch übergreifende Auseinandersetzung mit den Beschwerdekomplexen und deren Wechselwirkungen. Unter Beachtung der beschriebenen, vielfältigen Beeinträchtigungen und Einschränkungen sei die Einschätzung der Sachverständigen nicht nachvollziehbar. Eine Tätigkeit in wirtschaftlich verwertbarem Umfang könne sie nicht regelmäßig ausüben. Infolge der bestehenden Erkrankungen leide sie unter Ängsten, Auto zu fahren; daher habe sie dieses zum 12.09.2019 abgemeldet.
Die Klägerin hat schriftsätzlich beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 05.12.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.06.2018 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, einen neuen Bescheid zu erlassen, mit dem ihr Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung wegen bestehender Erwerbsminderung gewährt wird.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid verwiesen. Eine Herabsetzung des Leistungsvermögens der Klägerin in zeitlicher Hinsicht sei nicht ersichtlich. Soweit die Wegefähigkeit der Klägerin eingeschränkt sei, sei diese nach Einschätzung von
Dr. L und
Dr. H1 in der Lage, einen Pkw als dessen Fahrerin zu nutzen; es sei nicht auf ein eigenes Fahrzeug der Klägerin abgestellt worden. Soweit
Prof. Dr. M zu einer anderen Einschätzung komme, beruhe dies im Wesentlichen auf den Ergebnissen einer psychologischen Testung, die von der Motivation und Mitarbeit abhängig sei. Im Übrigen könne die Klägerin auch öffentliche Verkehrsmittel nutzen.
Das SG hat Befundberichte der behandelnden Ärzte der Klägerin eingeholt, namentlich bei der Fachärztin für Allgemeinmedizin
Dr. P vom 18.09.2018 (hausärztliche Betreuung seit über 20 Jahren; Diagnosen: Belastungsdyspnoe, zunehmend depressive Verstimmung, Konzentrationsschwierigkeiten, schwerer und progredienter Verlauf der Psoriasis, chronische Schmerzen; Leistungsminderung, leichte Tätigkeiten eher nicht mehr vollschichtig möglich), dem Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie G (zweimalige Vorstellung in 2017; Diagnosen: Psoriasis, Coxarthrose, Gicht, Adipositas; leichte Tätigkeiten vollschichtig noch möglich), der Fachärztin für Orthopädie/Unfallchirurgie H2 vom 02.10.2018 (Behandlung von April 2016 bis Februar 2018; Diagnosen: starke, rezidivierend auftretende Schmerzen im Bereich der
HWS und
LWS, Psoriasisarthritis, beidseitigem Iliosakralgelenk (ISG)-Syndrom, Spondylarthrose Lendenwirbelkörper (
LWK) 4/5 und Halswirbelkörper (
HWK) 5/6, Piriformissyndrom links, Knickfuß und Ballenhohlfuß beidseitig,
HWS-Syndrom, Plantarfasziitis rechts, neuroforaminale Enge
HWK 5/6), der Fachärztin für Psychiatrie
Dr. C vom 29.11.2018 (Behandlung seit Mai 2017; Diagnosen: depressive Entwicklung/Dysthymie, mittelgradig bis schwere depressive Episode, schwerer Verlauf einer Psoriasis, chronische Schmerzstörung mit physischen und somatischen Faktoren bei diversen orthopädischen Diagnosen, Essstörung mit Adipositas; leichte Tätigkeiten vollschichtig nicht mehr möglich) und der Hautärztin
Dr. N1 vom 11.01.2019 (Behandlung von September bis November 2016; Diagnose: Psoriasis).
Die Klägerin hat zudem eine ärztliche Bescheinigung der Orthopädin H2 vom 13.03.2019 zu den Akten gereicht, wonach eine deutliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes eingetreten sei. Sie sei nicht mehr in der Lage, Lasten über fünf Kilogramm zu heben, länger als fünf Minuten freihändig zu stehen und eine längere Strecke als 300
m zu gehen. Bei Alltagsaktivitäten wie
z. B. Bügeln benötige sie Hilfe, da sie es selbst nicht mehr schaffe.
Das SG hat von Amts wegen ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten von
Dr. H1 nebst eines orthopädischen Zusatzgutachtens von
Dr. L eingeholt.
Dr. L hat in seinem Gutachten vom 23.05.2019 (aufgrund Untersuchung der Klägerin an diesem Tag) als Gesundheitsstörungen festgestellt: Psoriasis mit ausgedehntem Hautbefall, psoriatische Sakroiliitis, Zeichen der Psoriasisarthritis an Händen und Füßen, Verschleißerscheinungen der
HWS, Brustwirbelsäule (
BWS) und
LWS mit Funktionseinschränkungen und Nervenwurzelreizerscheinungen links, Funktionseinschränkungen in beiden Schultergelenken bei Oberarmkopfhochstand rechts und Schultergelenksarthrose beidseits sowie Verschleißerscheinungen in beiden Hüftgelenken mit Funktionseinschränkungen. Die Klägerin könne noch leichte körperliche Arbeiten im Sitzen und in geschlossenen Räumen ohne Zwangshaltungen sowie ohne besondere äußere Einwirkungen und ohne besondere Anforderungen an die Gebrauchsfähigkeit der Hände täglich sechs Stunden und mehr verrichten. Beim Zurücklegen des Weges von und zur Arbeitsstätte sei die Klägerin durch die Psoriasiserkrankung deutlich eingeschränkt. Eine Wegstrecke von täglich viermal 500
m könne die Klägerin nicht regelmäßig innerhalb von 15 bis 20 Minuten zu Fuß zurücklegen; ihr sei schon eine einfache Wegstrecke von mehr als 100
m viermal arbeitstäglich nicht zumutbar. Die Klägerin könne jedoch öffentliche Verkehrsmittel und einen Pkw als dessen Fahrerin benutzen.
Dr. H1 hat in seinem Gutachten vom 25.06.2019 (aufgrund Untersuchung der Klägerin an diesem Tag) ausgeführt, bei der Klägerin lägen eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, eine chronisch depressive Entwicklung mit leichtgradiger Symptomatik und ein beidseitiges Karpaltunnelsyndrom vor. Sie könne noch körperlich leichte Tätigkeiten ausschließlich im Sitzen und in geschlossenen Räumen ausüben. Unter Beachtung weiterer qualitativer Einschränkungen könne sie leidensangepasste Tätigkeiten ohne zeitliche Einschränkung sechs Stunden und mehr arbeitstäglich verrichten. Auch aus etwaigen Wechselwirkungen der einzelnen Beschwerden sei keine quantitative Leistungsminderung zu begründen. Wegstrecken von viermal 500
m könne sie zu Fuß nicht regelmäßig innerhalb von 15 bis 20 Minuten zurücklegen; gemäß dem orthopädischen Gutachten sei ihr auch eine Wegstrecke von mehr als 100
m viermal arbeitstäglich nicht zumutbar. Einen Pkw könne sie als Fahrerin benutzen. Die Klägerin habe angegeben, sie habe noch ihren alten Pkw von der Arbeit, den sie für gelegentliche Fahrten zum Frisör (alle vier bis sechs Wochen) und zu ihrer Schwester im Ort nutze; dieser Pkw komme jedoch ab November 2019 weg, da dann der
TÜV ablaufe.
Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) hat
Prof. Dr. M am 20.03.2020 (aufgrund Untersuchung der Klägerin am 03. und am 05.03.2020) ein psychiatrisch-psychotherapeutisches Gutachten erstattet. Auf seinem Fachgebiet leide die Klägerin unter einer chronischen Schmerzstörung mit psychischen und somatischen Faktoren sowie einer chronisch-depressiven Erkrankung. Sie sei in der Lage, körperlich leichte Tätigkeiten ausschließlich im Sitzen und in geschlossenen Räumen zu verrichten. Unter Beachtung weiterer qualitativer Einschränkungen könne sie noch mindestens sechs Stunden täglich arbeiten. Beim Zurücklegen des Weges zu und von einer Arbeitsstätte sei sie erheblich eingeschränkt; diesbezüglich werde auf das orthopädische Zusatzgutachten von
Dr. L verwiesen. Wegen der reduzierten Reaktionsfähigkeit der Klägerin bestünden ernsthafte Bedenken gegenüber dem Führen eines eigenen Pkws durch die Klägerin. Diese habe jedoch im Vorfeld der Begutachtung aufgrund eigener Unsicherheiten im Fahren den Pkw abgemeldet. Eine weitere Begutachtung auf dermatologischem Gebiet sei dringend erforderlich.
Das SG hat hierauf von Amts wegen ein dermatologisches Sachverständigengutachten durch die Fachärztin für Dermatologie und Allergologie
Dr. T1 eingeholt. Bei diagnostizierter Psoriasis vulgaris, atopischer Diathese und allergischem Kontaktekzem bestünden gegen die Verrichtung mittelschwerer Arbeiten für sechs Stunden und mehr aus hautärztlicher Sicht keine Bedenken (Gutachten vom 10.08.2020; Untersuchung der Klägerin am 30.07.2020).
Das SG hat auf eine aufgehobene Wegefähigkeit und das bisherige Fehlen eines Mobilitätsbescheides der Beklagten hingewiesen.
Mit Urteil vom 28.10.2020 hat das SG - nach einseitig mündlicher Verhandlung - den Bescheid der Beklagten vom 05.12.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.06.2019 teilweise aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 01.04.2020 bis zum 31.03.2023 eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren. Im Übrigen hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klägerin sei zwar trotz der bei ihr vorliegenden Leiden noch in der Lage, mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig zu sein. Durch die Abmeldung des Pkw der Klägerin zum 12.09.2019 sei jedoch zu diesem Zeitpunkt Wegeunfähigkeit eingetreten. Wegstrecken von viermal täglich mehr als 100
m seien der Klägerin nicht zumutbar, eine andere Beförderungsmöglichkeit bestehe seit der Abmeldung des Pkw nicht mehr. Zwar könne die aufgehobene Wegefähigkeit durch die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeglichen werden; einen solchen Bescheid habe die Beklagte jedoch nicht erlassen. Die Rente beginne nicht vor Beginn des siebten Kalendermonats nach Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit und sei auf drei Jahre zu befristen. Im Übrigen sei die Klage unbegründet, da die medizinischen Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht vorgelegen hätten.
Gegen das ihr am 30.11.2020 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 01.12.2020 Berufung eingelegt. Dass die Klägerin keinen Pkw mehr zur Verfügung habe, begründe keine Erwerbsminderung, da nur gesundheitliche Einschränkungen von Belang seien. Die Klägerin sei nicht aus medizinischen Gründen gehindert, einen Pkw zu führen und habe diesen auch nicht aus gesundheitlichen Gründen abgemeldet. Die Abmeldung sei vielmehr aus technischen Gründen erfolgt. Es sei aber nicht Sinn und Zweck von Erwerbsminderungsrenten, den finanziellen Aufwand für den Unterhalt eines verkehrstüchtigen Pkw auf die Versichertengemeinschaft zu übertragen; dies sei vielmehr eine Privatangelegenheit der versicherten Person. Zu berücksichtigen sei insoweit der hinter der Regelung des § 103
SGB VI stehende Gesichtspunkt der Solidarität, der es gebiete, Leistungen der Solidargemeinschaft nicht zu gewähren, wenn der Eintritt eines versicherten Risikos durch eigenes steuerbares Verhalten vermeidbar sei. Dies sei hier der Fall, da die Klägerin es sich durch das Abschaffen des Pkw selbst unmöglich gemacht habe, einen Arbeitsplatz zu erreichen. Da die Klägerin nicht erwerbsgemindert sei, komme auch die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, etwa durch Übernahme von Taxikosten, nicht in Betracht.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 28.10.2020 aufzuheben und die Klage insgesamt abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend. Aufgrund ihrer gesundheitlichen Einschränkungen sei es ihr nicht mehr möglich, einen Arbeitsplatz aufzusuchen. Sie sei hierfür auf die Nutzung eines Pkw angewiesen; öffentliche Verkehrsmittel stünden nur in eingeschränktem Umfang zur Verfügung. Die Abschaffung des nicht mehr genutzten Pkws sei die einzig logische Konsequenz für sie gewesen, da sie nach dem Ende der Lohnersatzleistungen über keinerlei eigene Einkünfte verfüge. Insofern sei unbestritten, dass die Stilllegung auch aus wirtschaftlichen Gründen erfolgt sei.
Die Klägerin hat auf Anforderung des Senats zum Pkw Opel Astra (amtliches Kennzeichen:
EU-XX 00) die Zulassungsbescheinigung, die Beitragsrechnung der AXA Versicherung (vom 26.09.2019) zur Ruheversicherung ab dem 11.09.2019 sowie den Kraftfahrzeugsteuerbescheid vom 19.09.2019 anlässlich der Abmeldung (Steuerfestsetzung bis 10.09.2019) eingereicht. Außerdem hat die Klägerin eine Bestätigung des Kreises Euskirchen (vom 04.10.2021) über den Zeitraum der Zulassung des Pkw Fiat Punto (amtliches Kennzeichen:
EU-X 000) vorgelegt.
Im Verhandlungstermin vom 08.10.2021 hat der Senat zunächst die Klägerin persönlich zu den in ihrem Haushalt vorhandenen Autos und zu deren Nutzung befragt. Sodann hat der Senat die Zeugen I H und N H gehört; der Zeuge I H hat zum Beweisthema "Pkws und deren Nutzung im Haushalt der Klägerin" - belehrt über sein Zeugnisverweigerungsrecht - ausgesagt; der Zeuge N H hat sich - belehrt über sein Zeugnisverweigerungsrecht - nicht zur Sache geäußert; auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
A.
Die zulässige, insbesondere statthafte (§§ 143, 144
SGG) und fristgerecht eingelegte (§ 151
Abs. 1
SGG) Berufung der Beklagten ist unbegründet.
Zu Recht hat das SG der Klage im erstinstanzlich tenorierten Umfang stattgegeben, denn insoweit ist der Bescheid der Beklagten vom 05.12.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.06.2018 rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 54
Abs. 2 Satz 1
SGG. Die Klägerin hat Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit ab dem 01.04.2020 bis zum 31.03.2023.
Gemäß § 43
Abs. 2 Satz 1
SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind (
Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt des Versicherungsfalls drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (
Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (
Nr. 3). Voll erwerbsgemindert ist gemäß § 43
Abs. 2 Satz 2
SGB VI, wer wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Eine teilweise Erwerbsminderung liegt gemäß § 43
Abs. 1 Satz 2
SGB VI vor, wenn die versicherte Person wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist nach § 43
Abs. 3
SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
I. Hiervon ausgehend ist die Klägerin weder teilweise noch voll erwerbsgemindert. Ihr Leistungsvermögen ist zwar in qualitativer, nicht aber in quantitativer Hinsicht eingeschränkt. Dies folgt aus den vom SG im Wege der Amtsermittlung eingeholten Gutachten von
Dr. L,
Dr. H1 und
Dr. T1, denen in orthopädischer, neurologisch-psychiatrischer sowie dermatologischer Hinsicht jeweils nachvollziehbar zu entnehmen ist, dass die Klägerin - auch unter Beachtung der wechselseitigen Beziehungen der einzelnen Erkrankungen zueinander - noch in der Lage ist, unter Beachtung qualitativer Einschränkungen jedenfalls leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mehr als sechs Stunden täglich zu verrichten. Auch der von der Klägerin nach § 109
SGG benannte Sachverständige
Prof. Dr. M hat keine abweichende Einschätzung für sein Fachgebiet vorgenommen. Insoweit nimmt der Senat auf die ausführlichen und zutreffenden Ausführungen des SG in der angefochtenen Entscheidung Bezug, § 153
Abs. 2
SGG. Veränderungen im Gesundheitszustand im Sinne einer Verschlimmerung sind im Berufungsverfahren weder von der Klägerin geltend gemacht worden, noch für den Senat anderweitig ersichtlich.
II. Eine Rente wegen voller Erwerbsminderung steht der Klägerin aber wegen rentenrechtlicher Wegeunfähigkeit zu.
Neben der zeitlich ausreichenden Einsetzbarkeit einer versicherten Person am Arbeitsmarkt gehört zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle in zumutbarer Zeit aufsuchen zu können; das Vorhandensein eines Minimums an Mobilität ist Teil des von § 43
Abs. 2
SGB VI versicherten Risikos. Eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die der versicherten Person dies nicht erlaubt und die in zumutbarer Weise nicht kompensiert werden kann, stellt eine derart schwere Leistungseinschränkung dar, dass der Arbeitsmarkt trotz eines vorhandenen vollschichtigen Leistungsvermögens als verschlossen anzusehen ist (
vgl. BSG, Urteil vom 12.12.2011 -
B 13 R 79/11 R -, juris, Rn. 18 f;
vgl. auch Freudenberg in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 3. Aufl., Stand: 01.04.2021, § 43 Rn. 253). Es liegt dann "rentenrechtliche Wegeunfähigkeit" (
BSG, Urteil vom 12.12.2011 - B 13 R 79/11 R -, a.a.O., Rn. 23) vor.
Hat die versicherte Person - wie hier die Klägerin - keinen Arbeitsplatz inne und wird ihr ein solcher auch nicht angeboten, bemessen sich die Wegstrecken, deren Zurücklegung ihr gesundheitlich möglich sein müssen, - auch in Anbetracht der Zumutbarkeit eines Umzugs - nach einem generalisierenden Maßstab, der zugleich den Bedürfnissen einer Massenverwaltung Rechnung trägt. Dabei wird angenommen, dass eine versicherte Person für den Weg zur Arbeitsstelle öffentliche Verkehrsmittel benutzen und von ihrer Wohnung zum Verkehrsmittel sowie vom Verkehrsmittel zur Arbeitsstelle und zurück Fußwege absolvieren muss. Eine (volle) Erwerbsminderung setzt danach notwendigerweise voraus, dass die versicherte Person nicht vier Mal am Tag Wegstrecken von über 500 Metern mit zumutbarem Zeitaufwand (also jeweils innerhalb von 20 Minuten) zu Fuß bewältigen und ferner zwei Mal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren kann. Ist der Versicherte gesundheitlich nicht mehr in der Lage, diese Wegstrecken in der genannten Zeit zurückzulegen oder öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, setzt volle Erwerbsminderung wegen rentenrechtlicher Wegeunfähigkeit zusätzlich voraus, dass der Versicherte diese gesundheitlichen Defizite nicht in einer ihm zumutbaren Weise kompensieren kann. Insofern sind bei der Beurteilung seiner Mobilität - im Sinne eines konkret-individuellen Maßstabs - alle ihm tatsächlich zur Verfügung stehenden und gesundheitlich nutzbaren Hilfsmittel und Beförderungsmöglichkeiten (
z.B. auch die zumutbare Benutzung eines eigenen Kraftfahrzeugs) zu berücksichtigen (
vgl. BSG, Urteil vom 12.12.2011 - B 13 R 79/11 R -, a.a.O., Rn. 20;
vgl. BSG, Urteil vom 14.03.2002 -
B 13 RJ 25/01 R -, juris, Rn. 21;
vgl. Freudenberg a.a.O., Rn. 254).
Nach dieser Maßgabe ist die Klägerin nicht wegefähig. Bei ihr liegen nach dem hier maßgeblichen generalisierenden Maßstab - die Klägerin hat weder einen Arbeitsplatz inne, noch wird ihr ein solcher angeboten - relevante gesundheitliche Mobilitätseinschränkungen vor (dazu unter 1.); sie kann diese auch nicht mithilfe eines ihr werktäglich jederzeit zur Verfügung stehenden Hilfs-
bzw. Beförderungsmittels, welches sie gesundheitlich bedienen kann, beseitigen (dazu unter 2.); dass die Klägerin ihren Pkw Opel Astra erst im September 2019 - und damit im laufenden Klageverfahren - abgemeldet hat, führt zu keinem anderen Ergebnis (dazu unter 3.).
1. Nach Würdigung der umfassenden medizinischen Ermittlungen im erstinstanzlichen Verfahren durch den Senat ist die Klägerin nicht in der Lage, vier Mal am Tag Wegstrecken von über 500 Metern jeweils innerhalb von 20 Minuten zu Fuß zurückzulegen. Sowohl der orthopädische Sachverständige
Dr. L als auch die behandelnde Orthopädin H2 gehen aufgrund eigener Feststellungen von einer erheblichen Mobilitätseinschränkung der Klägerin infolge der Psoriasiserkrankung und der Hüftgelenksbeschwerden aus: Die Orthopädin H2 führt in ihrem ärztlichen Bericht vom 13.03.2019 aus, dass die Klägerin Strecken über 300 Metern nicht mehr bewältigen könne. Der Sachverständige
Dr. L hält sogar eine Wegstrecke von 100 Metern vier Mal täglich in angemessener Zeit für von der Klägerin nicht zu bewältigen. Er legt insoweit plausibel dar, dass die Klägerin infolge des Verschleißes der Hüftgelenke diese nur noch bis 90° - statt normal bis 130°- beugen kann; die Schrittlänge der Klägerin deswegen bleibt - auch unter Benutzung ihres Gehstocks - verkürzt. Bereits eine Wegstrecke von über 500 Metern kann die Klägerin - unabhängig vom Zeitmoment - demnach nachvollziehbar nicht mehr vier Mal täglich zu Fuß zurücklegen. Dem haben sich die für das neurologisch-psychiatrische Fachgebiet gehörten Sachverständigen
Dr. H1 und
Prof. Dr. M nach eigener Untersuchung der Klägerin angeschlossen. Die Beklagte hat insoweit keine substantiierten Einwände erhoben.
2. Das gesundheitliche Unvermögen, bereits an sich eine Wegstrecke von über 500 Metern vier Mal täglich zu Fuß zurückzulegen, kann die Klägerin mit Relevanz für den im Berufungsverfahren streitigen Zeitraum (April 2020 bis Marz 2023) - die Klägerin hat keine Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil eingelegt - auch nicht zumutbar beseitigen. Ein entsprechendes Hilfs-
bzw. Beförderungsmittel, hier konkret ein Pkw, den sie gesundheitlich bedienen kann (dazu a)), steht ihr seit dem 11.09.2019 tatsächlich werktäglich jederzeit nicht zur Verfügung (dazu b)).
a) Zwar ist die Klägerin im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis für Pkw. Auch ist es ihr nicht schon aus gesundheitlichen Gründen unmöglich, einen Pkw zu führen. Insoweit folgt der Senat den Ausführungen der Sachverständigen
Dr. L und
Dr. H1, die auf ihren jeweiligen Fachgebieten keine Einschränkungen bei der Fähigkeit, einen Pkw als dessen Fahrerin im Straßenverkehr zu führen, festgestellt haben. Die lediglich von
Prof. Dr. M geäußerten ernsthaften Bedenken gegenüber dem Führen eines eigenen Pkw überzeugen nicht, da er schon nicht näher beschrieben hat, woraus diese Bedenken folgen. Allein der Verweis auf die von der Klägerin selbst geschilderte eigene Unsicherheit beim Fahren eines eigenen Pkw ist mangels weiterer objektiver Befunde, die diese Einschätzung untermauern könnten, nicht hinreichend aussagekräftig, zumal die Klägerin auch eingeräumt hat, gelegentlich,
z. B. für Frisörbesuche, kurzzeitig ein Pkw zu führen.
b) Bei einem vollschichtige Leistungsvermögen ist der Arbeitsmarkt wegen relevanter gesundheitlicher Mobilitätseinschränkungen allerdings nur dann als nicht verschlossen anzusehen, wenn die gesundheitlich mobilitätseingeschränkte versicherte Person ein ihr werktäglich zur Verfügung stehendes Kraftfahrzeug (
Kfz) jederzeit tatsächlich nutzen kann. Die erforderliche "jederzeitige" Verfügbarkeit ist typisierend im Rahmen einer lebensnahen Betrachtung dahingehend zu verstehen, dass das Fahrzeug werktäglich ohne größere zeitliche Ausnahmen und ohne werktägliche innerfamiliäre Absprachen zur Verfügung stehen muss (
vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 17.04.2013 - L 2 R 236/12 -, juris, Rn. 43). Das ist regelmäßig der Fall, wenn das
Kfz dem Versicherten selbst gehört; ausnahmsweise genügt auch das einem Dritten gehörende Fahrzeug, wenn der Versicherte jederzeit Zugriff dergestalt darauf hat, dass er den Ausschluss von seiner Benutzung nicht fürchten muss (Freudenberg a.a.O., Rn. 257). Denn die Anbahnung eines Arbeitsverhältnisses sowie die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit auch an einem über 500
m entfernt liegenden Arbeitsplatz ist nur zumutbar, wenn die versicherte Person mit einigermaßen verlässlich einzuschätzendem Aufwand an Zeit und Kosten dorthin gelangen kann (
BSG, Urteil vom 21.03.2006 -
B 5 RJ 51/04 R -, Rn. 22, juris; Urteil vom 12.12.2011 -
B 13 R 21/10 R -, Rn. 28f., juris;
vgl. Freudenberg, a.a.O., Rn. 257).
Ausgehend von diesen Grundsätzen steht der Klägerin nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme seit dem 11.09.2019 ein
Kfz nicht mehr werktäglich "zur jederzeitigen Nutzung" zur Verfügung.
Den bis dahin auf sie zugelassenen und von ihr auch tatsächlich genutzten Pkw Opel Astra hat die Klägerin zum 11.09.2019 abgemeldet, so dass ihr dieser seitdem nicht mehr zur Verfügung steht. Zwar ist der Pkw bis Mai 2020 im Haushalt der Klägerin verblieben und von ihrem Sohn E H übernommen
bzw. angemeldet worden; dieses Fahrzeug stand der Klägerin gleichwohl bis zu dessen Auszug im Mai 2020 - und erst recht darüber hinaus - nicht mehr zur Verfügung; denn E H hat es nach der für den Senat glaubhaften Angabe der Klägerin im Verhandlungstermin für seine täglichen Fahrten zur eigenen Arbeitsstätte genutzt. Insofern hatte die Klägerin keinen jederzeitigen Zugriff mehr auf dieses
Kfz. Der Pkw VW Touran, der auf ihren Ehemann angemeldet ist, stand
bzw. steht der Klägerin ebenfalls nicht werktäglich zur jederzeitigen Nutzung zur Verfügung. Nach ihren Angaben, die ihr Ehemann, der zur Sache aussagebereite Zeuge I H, bestätigt hat, benutzt dieser den Pkw für seine werktäglichen Fahrten zur Arbeit. Es ist dabei unerheblich, dass dieser nach seiner Aussage im Verhandlungstermin seit Oktober 2020 und auch noch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung arbeitsunfähig erkrankt war und daher - ex post betrachtet - keine Wege zur Arbeit hatte; denn das Beschäftigungsverhältnis des Ehemannes ist nicht beendet. Vielmehr wird der Pkw ab dem Ende der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit, das jederzeit eintreten kann, vom Ehemann der Klägerin wieder für die werktäglichen Fahrten zur Arbeit benutzt werden. Damit steht dieses Fahrzeug der Klägerin aber nicht jederzeit zur Verfügung. Dies gilt gleichermaßen für den Pkw Seat Leon; dieser wird - auch seit September 2019 - von dem Sohn N H werktäglich für die Fahrten zu seinem Arbeitsplatz nach Bonn
bzw. zum (dualen) Studium nach Köln genutzt. Entsprechende Angaben der Klägerin hat ihr Ehemann, der Zeuge I H, der auch Halter dieses Fahrzeugs ist, im Verhandlungstermin für den Senat glaubhaft bestätigt. Schließlich stand der Klägerin bis zur Abmeldung am 06.02.2020 auch nicht der auf ihren Ehemann zugelassene Pkw Fiat Punto jederzeit zur Verfügung. Dabei kann der Senat offen lassen, in welchem Zustand sich dieser Wagen jedenfalls seit September 2019 befand; insoweit hat die Klägerin in Übereinstimmung mit dem Zeugen I H angegeben, der Wagen sei alt und praktisch "schrottreif" gewesen, der im November 2019 fällige
TÜV (
bzw. Hauptuntersuchung) sei nicht mehr durchgeführt worden. Unterstellt, dieser Pkw habe sich auch noch im September und Oktober 2019 in einem fahrtüchtigen und verkehrssicheren Zustand befunden, kann der Senat nicht feststellen, dass er der Klägerin jederzeit zur Verfügung stand. Zwar hat sie im Verhandlungstermin vor dem Senat angegeben, sie habe den Fiat Punto gelegentlich auch nutzen können. Nach ihren weiteren Angaben und der diese bestätigenden Aussage ihres Ehemannes, des Zeugen I H, wurde dieser Wagen aber hauptsächlich für dessen Kleingewerbe zum Transport von Brennholz und Werkzeug eingesetzt. Selbst wenn der Ehemann der Klägerin diese Tätigkeiten gehäuft am Wochenende durchgeführt hat, so ist er mit ihnen - seinen für den Senat glaubhaften Angaben im Verhandlungstermin zufolge - auch während der Woche, je nach Aufkommen und saisonalen Unterschieden mal mehr, mal weniger, befasst gewesen. Wurde der Wagen aber auch werktags für das Kleingewerbe des Ehemannes von diesem (oder seinem Sohn) benutzt, stand er der Klägerin nicht jederzeit und insbesondere nicht ohne größere zeitliche Ausnahmen sowie ohne innerfamiliäre Absprachen zur Verfügung; vielmehr war eine Nutzung durch die Klägerin abhängig von dem Einsatz des Pkw durch den Ehemann, der durch das wechselhafte und nicht vorhersehbare Aufkommen im Gewerbebetrieb bestimmt wurde. Daraus, dass der VW Touran in den Zeiträumen, in denen der Ehemann der Klägerin den Fiat Punto nutzte, der Klägerin theoretisch zur Verfügung stand, lässt sich auch nicht schlussfolgern, dass der Klägerin jederzeit jedenfalls eines dieser beiden Autos zur Verfügung stand. Für die im Rahmen des - gewerblich, steuerlich und versicherungstechnisch separat zum Haushalt der Klägerin geführten - Kleingewerbes zu tätigenden Fahrten in den Wald und zu Kunden, insbesondere um das Brennholz zu transportieren, wurde nach den übereinstimmenden Angaben der Klägerin und ihres Ehemannes ausschließlich der Fiat Punto eingesetzt. Ein beliebiger und jederzeit möglicher Tausch der Pkw Fiat Punto und VW Touran zwischen der Klägerin und ihrem Ehemann war vor diesem Hintergrund gerade nicht möglich; vielmehr wurden vom Ehemann auch beide Pkw an einem Tag genutzt und je nach Bedarf täglich gewechselt. Damit stand der Klägerin ein Pkw werktäglich aber gerade nicht jederzeit zur Verfügung.
Die Klägerin war somit unter Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse der in ihrem Haushalt vorhandenen Fahrzeuge nicht in der Lage, auf die Anforderungen des allgemeinen Arbeitsmarktes flexibel und verlässlich zu reagieren. Die erforderliche "jederzeitige" Verfügbarkeit eines Pkw, um ihre aufgehobene Fähigkeit zu kompensieren, die relevanten Wegstrecken zu Fuß zurückzulegen, lässt sich nicht feststellen.
3. Eine andere rechtliche Bewertung ergibt sich entgegen der Auffassung der Beklagten nicht daraus, dass die Klägerin den Pkw Opel Astra am 11.09.2019, und damit erst während des laufenden Klageverfahrens, abgeschafft hat.
Es kann dabei dahin stehen, ob dies auf einer (subjektiv empfundenen) Fahrunsicherheit der Klägerin, technischen Umständen (beispielsweise Ablauf des
TÜV) oder wirtschaftlichen Erwägungen beruht. Denn das Vorhandensein eines Minimums an Mobilität ist Teil des nach § 43
Abs. 2
SGB VI versicherten Risikos (
BSG, Urteil vom 12.12.2011 - B 13 R 79/11 R -, a.a.O., Rn. 19). Es hat sich infolge der gesundheitlichen (Geh-)Einschränkungen in dem Zeitpunkt verwirklicht, in dem die Klägerin diese nicht mehr durch den jederzeitigen, tatsächlichen Zugriff auf einen ihr zur Verfügung stehenden Pkw zumutbar beseitigen konnte. Steht der Klägerin nach diesem Maßstab seit dem 11.09.2019 kein Beförderungsmittel (mehr) zur Verfügung, tritt mit diesem Tag rentenrechtliche Wegeunfähigkeit ein.
Unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt lässt sich in dieser Konstellation ein Ausschluss des Anspruchs auf Rente wegen Erwerbsminderung begründen.
a) Ein Ausschluss folgt insbesondere nicht aus § 103
SGB VI. Danach besteht ein Anspruch auf Rente (u.a.) wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nicht für Personen, welche die für die Rentenleistung erforderliche gesundheitliche Beeinträchtigung absichtlich herbeigeführt haben. Dieser Ausschluss gilt ausweislich des eindeutigen Wortlauts nur für das vorsätzliche Herbeiführen der gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Die Klägerin hat ihre Gesundheitsbeeinträchtigungen aber offensichtlich nicht vorsätzlich herbeigeführt; ihre weitgehend eingeschränkte Gehfähigkeit bestand unverschuldet und unabhängig von der Abmeldung des Pkw. Die bloße Abschaffung des Pkw ist keine rentenschädliche Herbeiführung des Versicherungsfalles, weil der Versicherte auf diese Weise nicht die dafür relevante gesundheitliche Einschränkung absichtlich herbeiführt (
vgl. Freudenberg a.a.O., Rn. 260).
Die Regelung des § 103
SGB VI ist aufgrund ihres Ausnahmecharakters auch nicht entsprechend anwendbar (
vgl. BSG, Urteil vom 30.06.1997 - 8 Rkn 21/96 -, juris, Rn. 29;
vgl. auch Reyels in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 3. Aufl., Stand: 01.04.2021, § 103 Rn. 30
m.w.N.). Es bestand keine Obliegenheit der Klägerin, den vormals eigenen Pkw zu behalten, um das versicherte Risiko nicht eintreten zu lassen; eine gesetzliche Grundlage hierfür ist nicht ersichtlich. Der Eintritt des Leistungsfalls "volle Erwerbsminderung" hinge dann von dem (subjektiven) Motiv des Versicherten ab, den Pkw abzugeben
bzw. weiter zu halten und zu besitzen. Maßgeblich sind aber allein die tatsächlich zur Verfügung stehenden Hilfsmittel und Beförderungsmöglichkeiten. Der Versicherte darf nicht darauf verwiesen werden, dass er sich solche Möglichkeiten selbst beschaffen könnte. Auch ein Versicherter, der über Vermögen, nicht aber über einen PKW verfügt, darf nicht darauf verwiesen werden, dass er mit seinen finanziellen Ressourcen zum Erwerb eines
Kfz in der Lage sei (
LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 17.04.2013 - L 2 R 236/12 -, a.a.O., Rn. 45). Es ist nicht erkennbar, dass die Klägerin vorliegend aus sachlichen Gründen anders zu behandeln wäre als ein gesundheitlich mobilitätseingeschränkter Versicherter, der bereits von Beginn des Rentenantragsverfahrens an nicht über ein eigenes
Kfz verfügt oder der einen Pkw führen und wirtschaftlich beschaffen könnte, dies aber nicht tut.
b) Die Argumentation der Beklagten, es sei nicht Sinn und Zweck von Erwerbsminderungsrenten, den finanziellen Aufwand für den Unterhalt eines verkehrstüchtigen Pkw auf die Versichertengemeinschaft zu übertragen, überzeugt nicht. Denn wenn rentenrechtliche Wegeunfähigkeit vorliegt, ist der Versicherungsfall eingetreten. Es obliegt dann der Beklagten, im Interesse der Versichertengemeinschaft die gesundheitliche Einschränkung auf andere Weise, konkret durch Mobilitätshilfen im Rahmen von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, auszugleichen (sog. Mobilitätsbescheid,
vgl. dazu
z.B. BSG, Urteil vom 12.12.2011 - B 13 R 79/11 R -, a.a.o., Rn. 34). Dadurch kann die Mobilität - und auch die Einsatzmöglichkeit - der Klägerin am allgemeinen Arbeitsmarkt wiederhergestellt werden. Dafür stehen verschiedene Maßnahmen zur Verfügung,
z. B. Zusicherung der Übernahme von Beförderungskosten mit oder ohne Eigenanteil; die Beteiligung an den Anschaffungskosten für ein eigenes
Kfz ist nicht zwingend. So wird die versicherte Person in die Lage versetzt, die individuellen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Kompensation der rentenrechtlichen Wegeunfähigkeit selbst (wieder) zu erlangen. Die Dauer dieser Fallgruppe einer vollen Erwerbsminderung - und den daran anknüpfenden Rentenbezug - kann die Beklagte somit durch die Gewährung von Mobilitätshilfen selbst beeinflussen.
Warum die Beklagte der Klägerin - zu Gunsten der Versichertengemeinschaft - solche Leistungen zur Teilhabe in Form von Mobilitätshilfen auch nach Hinweisen des SG sowie des Senats weiterhin nicht anbietet, ist für den Senat nicht nachvollziehbar.
III. Die übrigen Voraussetzungen der Gewährung einer Erwerbsminderungsrente - Wartezeiterfüllung gemäß §§ 43
Abs. 2 Satz 1
Nr. 3; 50
Abs. 1 Satz 1
SGB VI und "3/5-Belegung" gemäß § 43
Abs. 2 Satz 1
Nr. 2
SGB VI - sind bei der Klägerin im Zeitpunkt des Leistungsfalls (= Abmeldung des Pkw Opel Astra am 11.09.2019) erfüllt.
IV. Unter Zugrundelegung eines Leistungsfalls im September 2019, wobei unerheblich ist, ob man auf den 11.09.2019 oder den 12.09.2019 abstellt, hat das SG schließlich rechtsfehlerfrei gemäß § 101
Abs. 1
SGB VI einen Rentenbeginn ab April 2020 angenommen. Die Rente ist gemäß § 102
Abs. 2 Satz 1
SGB VI auch rechtsfehlerfrei auf drei Jahre befristet worden, da eine Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit der Klägerin nach den medizinischen Gutachten möglich ist.
B.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG.
C.
Die Voraussetzungen nach § 160
Abs. 2
SGG für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.