Praxisbeispiel
Kurzbeschreibung:
Ein Interview von REHADAT mit dem auf einem Ohr ertaubten Lehrer Richard Kneuper im Rahmen von REHADAT-Wissen Ausgabe Hörbehinderung.
Inhalte des Gesprächs sind die Themenbereiche:
Inhalte des Gesprächs sind die Themenbereiche:
- Angaben zur Person, Erkrankung und zum Beruf
- Beeinträchtigung und Versorgung mit einem Cochlea-Implantat
- Förderung des Cochlea-Implantats
- Grad der Behinderung
- Herausforderungen in Bezug auf den Lehrberuf
- Kommunikationshilfen und Arbeitsgestaltung
- Unterstützung von außen und rechtliche Gegebenheiten für Lehrpersonen mit Schwerbehinderung
- Wünschenswertes für den Beruf mit Hörbehinderung
Schlagworte und weitere Informationen
Das Interview mit Herrn Richard Kneuper führten Maisun Lange und Rieke Menne für REHADAT-Wissen Ausgabe Hörbehinderung.
Zur Person:
Richard Kneuper ist 48 Jahre alt und seit 20 Jahren Lehrer an der IGS Bonn-Beuel. Er ist verheiratet und Vater von drei Kindern. 2013 ertaubte er durch einen Hörsturz auf einem Ohr. Seit 2014 ist er einseitig mit einem Cochlea-Implantat (CI) versorgt.
REHADAT:
Wie ist Ihr Hörvermögen beeinträchtigt und wie ist Ihre CI-Versorgung?
Richard Kneuper:
Nach meinem Hörsturz habe ich zunächst fast ein Jahr lang ohne CI gearbeitet. Auf Dauer ging das aber nicht, denn ohne CI höre ich nur mono. Mit dem CI musste ich neu hören lernen. Das Gehirn hat ungefähr zwei Jahre gebraucht, um die elektrischen Impulse als spezifische Geräusche beziehungsweise Sprache zu interpretieren. Der Lernprozess hat so lange gedauert, weil ich Geräusche zu 80 Prozent mit dem gesunden Ohr aufnehme - und das Gehirn macht ja nur das, was es muss.
REHADAT:
Wer hat die CI-Versorgung bezahlt?
Richard Kneuper:
Als verbeamteter Lehrer wurde das CI ohne Probleme über die Beihilfe finanziert.
REHADAT:
Haben Sie einen amtlich anerkannten Grad der Behinderung (GdB)?
Richard Kneuper:
Ich habe einen GdB von 30, weil mein Gleichgewichtsorgan von Schwindel betroffen ist. Ich bin einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt. Mir ist allerdings schleierhaft, warum bei einem einseitig ertaubten Lehrer keine Schwerbehinderung festgestellt wird. Die Hörbehinderung belastet mich stark, denn es kostet wahnsinnig viel Kraft, sich auf Gespräche zu konzentrieren. Im Berufsalltag habe ich diese Kraft - morgens bin ich fit und ausgeruht - aber im Laufe des Tages nimmt sie stetig ab. Abends bin ich erschöpft, gereizt und nicht mehr in der Lage, Konflikte oder schreiende Kinder auszuhalten. Das ist die größte Belastung. Es handelt sich um eine Behinderung, die sich eher durch Erschöpfung am Abend als durch akustische Probleme auswirkt. Und das ist ganz schwierig, sich selbst und den anderen zu vermitteln.
REHADAT:
Gibt es besondere Herausforderungen im Schulalltag?
Richard Kneuper:
Probleme habe ich immer dann, wenn Störgeräusche vorhanden sind. Besonders schwierig sind die Freiarbeitsphasen. Sobald mehr als eine Person redet, höre ich gar nichts mehr, weil ich die Geräuschquelle nicht orten kann. Das ist gerade als Lehrer schwierig.
REHADAT:
Das CI kann das Richtungshören also nicht komplett ausgleichen?
Richard Kneuper:
Nein. Ich kann im Zweifel nicht genau hören, wer stört, und wo das herkommt. Richtungshören ist schwierig.
REHADAT:
Gibt es weitere Einschränkungen beim Unterrichten?
Richard Kneuper:
Als CI-Träger ist mir das gesunde Gespür für Akustik abhandengekommen. Ich kann nie abschätzen, wann es objektiv zu laut ist, und wann eine gute Arbeitsatmosphäre herrscht. Für mich ist einfach alles zu laut und nur dann vernünftig, wenn es ganz leise ist. Und das geht natürlich nicht. Man kann von den Kindern nicht verlangen, dass sie immer ganz leise sind, gerade während der Freiarbeitsphasen. Und dafür gibt es auch kein Hilfsmittel. Mir fällt jedenfalls keins ein.
REHADAT:
Gibt es Situationen, die besonders stressen oder anstrengen?
Richard Kneuper:
Aktives Zuhören ist sehr anstrengend - aber auch das Sprechen. Manchmal legt mein Gehirn die Konzentration so sehr aufs Zuhören, dass mir plötzlich mitten in einem Gespräch oder in einer Moderation ein ganz banales Wort fehlt. Lehrerkonferenzen am Nachmittag empfinde ich ebenfalls als sehr anstrengend. Die machen mich kirre, da kann ich nicht mehr richtig zuhören.
REHADAT:
Haben Sie bei den Lehrerkonferenzen bestimmte Kommunikationsstrategien?
Richard Kneuper:
Am Anfang habe ich ein- bis zweimal etwas gesagt, aber die Schule kann bei 140 Kolleginnen und Kollegen nicht die Konferenzen um einen Hörbehinderten herum organisieren, wie sollte das funktionieren? Letztlich ist meine Strategie, bei allen Dingen, die mich nicht unmittelbar betreffen, wegzuhören und hinterher das Protokoll zu lesen.
REHADAT:
Könnte es nützen, Räume nachzurüsten und hörsam zu gestalten?
Richard Kneuper:
Ja, die Konferenzen werden in halligen Räumen wie der Mensa oder der Aula abgehalten, aber letztlich gilt es, die Raumkapazitäten abzuwägen ich sehe dazu keine Alternative. Ich würde nie auf den Gedanken kommen, dass wegen meiner Hörbehinderung ein Raum für die paar Lehrerkonferenzen umgerüstet wird. Im Übrigen sind auch leise Konferenzen sehr anstrengend für mich. Die Konferenzen laufen über Mikro, und für mich ist elektronisches Hören besonders anstrengend, weil ich ja selbst elektronisch höre. Das beißt sich irgendwie.
REHADAT:
Würden Ihnen mit Induktionsschleifen beziehungsweise Tonübertragungsanlagen ausgestattete Räume helfen?
Richard Kneuper:
Sobald etwas elektronisch verstärkt wird, habe ich große Schwierigkeiten. Es wird dann ganz schwierig für mich, zu hören, weil das Gehirn es nicht gewohnt ist. Alles, was elektronisch verstärkt ist, ist für mich eine Qual.
REHADAT:
Wären lärmdämmende Verbesserungen der Schulräume für Sie sinnvoller?
Richard Kneuper:
Davon würden alle profitieren, aber das ist völlig utopisch. Die Raumakustik zu verbessern, habe ich nie als dringliches Problem gesehen. Die wirklich anstrengenden Sachen, wie eine Konferenz am Nachmittag, würden durch so einen Raum auch nicht wegfallen.
REHADAT:
Helfen würde es nur, wenn Sie davon befreit würden?
Richard Kneuper:
Richtig, und informell wäre das wahrscheinlich sogar möglich. Wenn man als Lehrer aber nicht zu den Konferenzen geht, macht man sich natürlich zum Behinderten. Das einzufordern, hat einen Preis - den muss man zahlen wollen! Denn dann ist man raus, dann kann man nicht mehr mitentscheiden und ist kein vollwertiges Mitglied der Schulgemeinschaft mehr.
REHADAT:
Wird Ihre Hörbeeinträchtigung von Ihrem schulischen Umfeld wahrgenommen?
Richard Kneuper:
Nein, das ist keinem bewusst. Ich stelle mich zwar bei meinen neuen Klassen direkt als CI-Träger vor, aber das verschwindet im Bewusstsein. Ich wirke ja ganz normal. Man wird als CI-Träger gar nicht mehr als behindert wahrgenommen, zumindest erlebe ich das nicht. Und das ist mir auch ganz recht.
REHADAT:
Stört es Sie, wenn Sie um Wiederholung des Gesagten oder um mehr Ruhe bitten müssen?
Richard Kneuper:
Damit hadere ich nicht. Im Grunde bittet jeder Lehrer immer wieder darum, dass es leiser ist. Das kann man also nicht nur mit meiner Behinderung in Verbindung bringen. Ich bin so belastbar wie ein Lehrer mit schlechten Nerven. Es gibt ja auch Lehrerinnen und Lehrer, die als Normalhörende keinen Lärm ertragen
REHADAT:
Suchen Sie manchmal bewusst ruhige Bereiche der Schule auf?
Richard Kneuper:
Ja - in der Bibliothek halte ich mich zum Beispiel gerne auf. Ins Lehrerzimmer gehe ich hingegen nicht mehr so häufig wie früher.
REHADAT:
Ist Ihnen bekannt, dass es in jedem Bundesland gesetzlich festgelegte Richtlinien für Lehrkräfte mit Schwerbehinderung gibt?
Richard Kneuper:
Ich weiß, was in den Richtlinien steht, aber das kommt für mich alles nicht infrage. Entlastungsstunden sind beispielsweise erst ab einem GdB von 50 vorgesehen.
REHADAT:
Haben Sie vonseiten der Schule Hilfe erhalten?
Richard Kneuper:
Als erstes hat sich das Schulamt erkundigt, ob es helfen kann. Daraufhin habe ich eine Latein-Fortbildung beantragt. Inzwischen bin ich Latein-Lehrer mit wunderbar kleinen Kursen. Nun gebe ich genau den Unterricht, den ich brauche. Die Schulleitung entlastet mich durchaus, aber natürlich gibt es auch mal Schwierigkeiten. Ich sollte beispielsweise eine I-Klasse mit inklusivem Unterricht übernehmen. Das habe ich abgelehnt, denn ich kann nicht in einer Klasse unterrichten, in der sich der Sonderpädagoge mit den Schülerinnen und Schülern mit Förderbedarf unterhält. Diese ständige Geräuschquelle würde mich stören. In diesem Fall war weniger Verständnis dafür vorhanden, auch wenn es mir am Ende zugestanden wurde.
REHADAT:
Ist das „Teilhabegespräch“ an Ihrer Schule üblich?
Richard Kneuper:
Ja, das ist anfangs gelaufen und wird mir immer wieder angeboten. Aber manche Sachen kann man nicht ändern. Meine eigene Klasse ist als derzeit 7. Klasse natürlich immer etwas lauter. Es würde schon sehr weit führen, wenn ich sagen würde: Ich will nicht mehr Klassenlehrer sein, weil ich in solchen Klassen nicht arbeiten kann.
REHADAT:
Sind Sie über mögliche Nachteilsausgleiche informiert?
Richard Kneuper:
Ich weiß, dass bei einer Schwerbehinderung Stundenreduzierungen möglich wären. Das wäre für mich genau das Richtige. Aber für diesen Nachteilsausgleich bräuchte ich eben einen GdB von 50. Ich habe jetzt trotzdem Stunden auf eigene Kosten reduziert, weil es nicht mehr ging.
REHADAT:
Was wünschen Sie sich für Ihre zukünftige Berufstätigkeit?
Richard Kneuper:
Damit es funktioniert, wünsche ich mir, dass ich nie wieder voll arbeiten muss. Ich möchte nie wieder die Belastung der letzten Jahre erfahren, die eine volle Stelle mit sich bringt. Ob das altersbedingt ist oder mit der Hörbehinderung zusammenhängt, kann ich nicht beurteilen. Es gibt Kolleginnen und Kollegen, die werden schlicht und ergreifend älter und reduzieren auch. Jedenfalls war das zu viel.
REHADAT:
Vielen Dank für das offene Gespräch.
Es liegen keine Informationen zur Förderung vor.
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Pb/111125
Informationsstand: 29.03.2023