Praxisbeispiel
Berufskraftfahrer bei einer Spedition

Wo lag die Herausforderung?

Die beiden Lastkraftfahrer sind gehörlos. Dies führte einerseits im Rahmen der Ausbildung zu Herausforderungen bei der Vermittlung der relevanten Ausbildungsinhalte, andererseits gestaltet sich die Kommunikation mit der Kundschaft schwieriger. Auch konnten akustische Warnsignale des Lastkraftwagens nicht wahrgenommen werden.

Was wurde gemacht?

Für die Ausbildung in der Berufsschule und die Abschlussprüfung wurden gebärdensprachdolmetschende Personen mit einbezogen. Außerdem wurde für die Ausbildung eine Fahrschule beauftragt, die auf Menschen mit Hörbehinderung zugeschnittene Kurse anbietet. Mit Hilfsmitteln wie Smartphone und Speech-to-text-software war die Kommunikation in der Aus- sowie Fortbildung und im Berufsalltag möglich. Beim Führen der Lkw hilft die Ausstattung der Fahrzeuge mit besseren Rückfahrkameras.

Schlagworte und weitere Informationen

Das Unternehmen hat die Kosten für bessere Rückfahrkameras und die Speech-to-Text-Software selbst getragen. Der Einsatz bzw. die Förderung von gebärdensprachdolmetschenden Personen kann im Rahmen der beruflichen Teilhabe durch die Arbeitsagentur (z. B. bei Bewerbungsgesprächen oder der Probearbeit sowie Einarbeitung) oder im Rahmen der begleitenden Hilfe im Arbeitsleben durch das Integrations- beziehungsweise Inklusionsamt (z. B. bei Besprechungen oder der Fort-/Weiterbildung) erfolgen.
In REHADAT finden Sie auch die Adressen und Telefon-Nummern der Integrations- beziehungsweise Inklusionsämter und Arbeitsagenturen.

Unternehmen:

Die Spedition mit einem Fuhrpark von über 100 Fahrzeugen wird als Familienunternehmen geführt und beschäftigt 178 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Darunter sind auch zwei Mitarbeiter mit Gehörlosigkeit, die helfen den Bedarf an Fachleuten zu decken, der beim Unternehmen und allgemein in der Branche recht groß und schwer zu decken ist.

Kommentar des Inhabers:

"Inklusion kann nur funktionieren, wenn die Unternehmen mitspielen und bereit sind den Kosten- und Organisationsaufwand zu tragen. Es wäre für Unternehmen einfacher, wenn für die berufliche Inklusion dieselben Fördermittel genehmigt würden wie für andere gesellschaftliche Bereiche. Aber mit der aufrichtigen Bereitschaft sich für die Inklusion im eigenen Unternehmen zu engagieren, gibt es keine Hürden, die nicht mit relativ einfachen Maßnahmen zu überwinden wären. Unternehmen sollten ihre Berührungsängste über Bord werfen und mutig ohne Bedenken Mitarbeiter mit Beeinträchtigung einstellen und inkludieren."

Behinderung und Beeinträchtigung der Mitarbeiter:

Die beiden Mitarbeiter sind gehörlos. Akustische Informationen, wie Signale (z. B. Warnsignale) und Lautsprache, müssen daher für sie in visuell oder taktil wahrnehmbare Informationen umgewandelt werden. Dies führte einerseits im Rahmen der Ausbildung zu Herausforderungen bei der Vermittlung der relevanten Ausbildungsinhalte und andererseits gestaltet sich die Kommunikation beim Kontakt mit der Kundschaft schwieriger. Der GdB (Grad der Behinderung) beträgt 100.

Ausbildung und Beruf:

Einer der Mitarbeiter hat eine dreijährige Ausbildung zum Mediengestalter Digital und Print abgeschlossen, bevor er sich für die Arbeit als Berufskraftfahrer entschied. Der andere Mitarbeiter hatte schon seit seiner Kindheit den Wunsch Lkw-Fahrer zu werden, doch war dies in seiner Heimat für Menschen mit Gehörlosigkeit nicht möglich. Der Bewerbungsprozess beim Unternehmen verlief weitgehend wie bei anderen Personen, die sich bewerben. Im Bewerbungsgespräch wurde zusätzlich auf Stift und Papier zur Kommunikation zurückgegriffen. Bei der Spedition hatte man bereits vorher einen jungen Mann mit Gehörlosigkeit ausgebildet und war aufgrund dieser positiven Erfahrung entsprechend aufgeschlossen.
Die Ausbildungsinhalte waren nicht anders als bei hörenden Berufskraftfahrerinnen und Berufskraftfahrern. Allerdings wurde für die Ausbildung eine bestimmte Fahrschule beauftragt, welche auf Menschen mit Hörbehinderung zugeschnittene Kurse in ihrem Angebot hat. Für die Ausbildung in der Berufsschule und die abschließende Prüfung wurden gebärdensprachdolmetschende Personen engagiert. Für die IHK-Prüfung erhielten die Auszubildenden nach Antrag bei der Kammer einen Nachteilsausgleich, d. h. die Prüfungsdauer wurde verlängert. So konnte gewährleistet werden, dass der längere Zeitbedarf zur Informationswahrnehmung und zum Verstehen der Prüfungsinhalte ausgeglichen werden konnte.

Arbeitsplatz und Arbeitsaufgabe:

Die Berufskraftfahrer liefern Baustoffe im Auftrag der herstellenden Baustoffunternehmen zu Baustellen aus. Hierzu fahren sie übliche Lastkraftwagen bzw. Lastzüge und nutzen Kran sowie Gabelstapler zum Verladen der Waren bei den Baustoffunternehmen und zum Ausladen an der Baustelle.
Die Vergabe der Aufträge erfolgt über ein System mit einer Logistik- bzw. Dispositionssoftware und entsprechendem Gerät mit Display im Lkw. Die täglich erforderliche Kommunikation findet dabei per Smartphone über WhatsApp statt.
Neben der fahrenden Tätigkeit gehören auch Verwaltungsarbeiten, wie zum Beispiel die Abhol- und Lieferscheinbearbeitung sowie Spesenabrechnung, zu den täglichen Aufgaben. Außerdem kommen die Mitarbeiter regelmäßig in Kontakt mit Beschäftigten aus dem Bereich des Lagers, des Handwerks und den Verantwortlichen auf den Baustellen. Daneben sind die Berufskraftfahrer für die Pflege und Wartung ihrer Fahrzeuge zuständig.
In der direkten Kommunikation mit der Kundschaft hat sich diese bislang immer verständnisvoll gezeigt. Reicht die improvisierte Kommunikation mit Hilfe von Gesten, der Mimik und Gebärdendeutung durch die hörende Person nicht aus, kann auf ein Smartphone als Schreibgerät zur Kommunikation zurückgegriffen werden.

Arbeitsorganisation:

Bei Fortbildungen außerhalb werden gebärdensprachdolmetschende Personen engagiert. Bei betriebsinternen Schulungen wird ein Computer mit Mikrofon und Speech-to-Text-Software (Eingabesoftware) genutzt, welche die Worte der vortragenden Person simultan als Text mittels Beamer auf eine Leinwand überträgt. Mit den Kolleginnen und Kollegen wird, wie auch mit den Kundinnen und Kunden, improvisiert kommuniziert.

Arbeitsschutz:

Ergänzend zu dem akustischen Warnsignal der Abstandssensorik wurden bessere Rückfahrkameras an den Lastzügen installiert, um das rechtzeitige Erkennen von Hindernissen beim Rückwärtsfahren zu garantieren. Die Kameras verfügen über eine höhere Auflösung als herkömmliche Rückfahrkameras sowie einen farbigen Abstandsbalken als zusätzliche Visualisierung.

Eingesetzte Hilfsmittel – Anzeigen der Produkte:

ICF-Items

Mögliche Assessments – Verfahren und Merkmale zur Analyse und Bewertung

  • ERGOS - Hören
  • ERGOS - Sprechen
  • IMBA - Arbeitssicherheit
  • IMBA - Hören
  • IMBA - Lautabgabe/Sprechen
  • IMBA - Unfallgefährdung
  • MELBA - Sprechen

Referenznummer:

PB/111052


Informationsstand: 01.10.2024