Antragsverfahren im Sozialrecht nach SGB IX
Im gegliederten System der sozialen Sicherung können verschiedene Leistungsträger Teilhabeleistungen erbringen, um das Leben in der Gesellschaft zu fördern und Benachteiligungen zu vermeiden. Zu den Leistungen, die Sach- oder Dienstleistungen umfassen, gehören auch Hilfsmittel oder technische Arbeitshilfen.
Trägerübergreifende und für alle Leistungsträger verbindliche Regelungen wie die Zuständigkeitsklärung und der Teilhabeplan sind im SGB IX zusammengefasst, während die einzelnen Leistungsgesetze der Träger die Leistungsansprüche und Zuständigkeiten konkretisieren. Ziel ist eine zügige und gut koordinierte Leistungserbringung „wie aus einer Hand“, da an einer Leistung auch mehrere Träger beteiligt sein können.
Dieser Artikel im Überblick:
Wo stelle ich den Antrag?
Welcher Leistungsträger zuständig ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Dies können Schweregrad und Ursache der Behinderung, der Einsatzzweck des Hilfsmittel oder die Dauer der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung sein.
Prinzipiell können Leistungsberechtigte ihren Antrag bei jedem der Leistungsträger stellen. Diese müssen untereinander klären, wer zuständig ist und ob ein Leistungsanspruch besteht (siehe § 14 SGB IX). Die Erfahrung zeigt jedoch, dass die Bearbeitung beschleunigt wird, wenn die Antragstellenden bereits im Vorfeld die richtigen Ansprechpartner und Anlaufstellen kennen.
Generell leisten Reha-Träger (§ 6 SGB IX) wie die Krankenversicherung oder Rentenversicherung vorrangig vor dem Integrationsamt/Inklusionsamt. Integrationsämter/Inklusionsämter sind keine Reha-Träger, ihre begleitende Hilfe im Arbeitsleben für schwerbehinderte und gleichgestellte Menschen ist aber eng mit den Reha-Leistungen verknüpft.
Was ist bei der Antragstellung zu beachten?
Wichtig:
- Anträge auf Hilfsmittel oder technische Arbeitshilfen können Sie formlos, aber schriftlich stellen. Ausnahme bildet die gesetzliche Unfallversicherung, die „von Amts wegen“ tätig wird.
- Stellen Sie den Antrag vor der Anschaffung eines Hilfsmittels oder vor Beginn eines barrierefreien Umbaus beim Leistungsträger.
- Warten Sie die Bewilligung des Leistungsträgers ab. Wurde Ihr Antrag bei einem für die Leistung nicht zuständigen Rehabilitationsträger oder Integrations-/Inklusionsamt gestellt, klären diese untereinander die Zuständigkeit und die Koordination des Verfahrens, wenn mehrere Leistungen und/oder mehrere Leistungsträger beteiligt sind.
- Bitte beachten Sie, dass es sich bei jeder Entscheidung der Leistungsträger um einen Einzelfall handelt.
Erforderliche Unterlagen
Je nach Leistungsträger sind unterschiedliche Nachweise für die Antragstellung erforderlich. Informationen zu den erforderlichen Belegen und Formularen erhalten Sie bei den Rehabilitationsträgern und Integrations-/Inklusionsämtern.
Diese Nachweise und Unterlagen können erforderlich sein:
- Ärztliche Verordnung mit einer detaillierten und nachvollziehbaren Begründung
- Eventuelle Gutachten oder Entlassungsberichte der (Rehabilitations-)klinik
- Mindestens ein Kostenvoranschlag
- Feststellungsbescheid über den Grad der Behinderung
- Schwerbehindertenausweis
- Arbeitsvertrag und Tätigkeitsbeschreibung
Kostenvoranschläge sind bei den Leistungserbringern wie zum Beispiel den Sanitätshäusern oder bei den Hilfsmittelherstellern oder -händlern erhältlich. Bezugsadressen der von REHADAT dokumentierten Hilfsmittel finden Sie in den Produktbeschreibungen.
Hilfsmittel sind sächliche Mittel oder technische Produkte, für die es keine Richtgrößen und damit auch keine ärztliche Budgetierung gibt. Hierauf sollten Antragstellerinnen und Antragsteller hinweisen, wenn Ärztinnen und Ärzte eine Hilfsmittelverordnung mit dem Hinweis auf ein begrenztes Ausgabenvolumen und Verordnungskontingent der gesetzlichen Krankenkassen ablehnen. Arztpraxen sind jedoch dem Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 12 SGB V) verpflichtet.
Wie verläuft das Antragsverfahren nach der Antragstellung?
Dies betrifft nur Hilfsmittel für den Behinderungsausgleich, nicht zur Sicherung einer Krankenbehandlung!
Verfahrensschritte nach SGB IX
- Ist der Träger, an den der Antrag zuerst geht auch zuständig, wird dieser zwei Wochen nach Antragseingang zum „leistenden Rehabilitationsträger“.
- Ist der erstangegangene Träger nicht zuständig, leitet er den Antrag innerhalb von zwei Wochen an den zweiten Rehabilitationsträger weiter, der bei Zuständigkeit zum leistenden Rehabilitationsträger wird.
- Wenn dieser zweitangegangene Träger auch nicht zuständig ist, kann er den Antrag an den nach seiner Auffassung zuständigen Träger im Einvernehmen weiterleiten (Turboklärung). Dieser wird zum leistenden Rehabilitationsträger, auch wenn er nicht zuständig ist und kann den Antrag nicht mehr weiterleiten.
- Jeder leistende Rehabilitationsträger hat in der Regel innerhalb von drei Wochen nach Antragseingang über die Leistung zu entscheiden. Diese Frist verlängert sich im Falle einer Turboklärung oder wenn Gutachten eingeholt werden müssen oder wenn andere Träger beteiligt sind.
- Wenn auch andere Träger zum Teil zuständig sind, muss der leistende Rehabilitationsträger diese einbeziehen und ein verbindliches Teilhabeplanverfahren (§ 19 bis § 23 SGB IX) durchführen, und zwar einheitlich, frühzeitig und zusammenhängend.
- Der leistende Rehabilitationsträger muss bei komplexen Fällen eine Teilhabeplankonferenz durchführen. Beteiligt sind die antragsstellende Person, die Rehabilitationsträger und eventuell das Integrations-/Inklusionsamt, falls auch dieser ein Leistungsträger ist.
Leistender Rehabilitationsträger
- Der leistende Rehabilitationsträger muss die antragsstellende Person über den Stand des Antrags und über Weiterleitungen des Antrags informieren.
- Der leistende Rehabilitationsträger kann den Antrag splitten und teilweise weiterleiten.
- Der leistende Rehabilitationsträger muss in Vorleistung gehen, wenn andere zuständige Leistungsträger nicht fristgerecht leisten. Die Leistungsträger klären die Kostenerstattung untereinander.
Dauer des Verfahrens
- Die Dauer des gesamten Verfahrens beträgt in der Regel sechs (ohne Gutachten) bis acht (mit Gutachten) Wochen.
- Die Dauer bei mehreren beteiligten Rehabilitationsträgern (§ 15 SGB IX) beträgt sechs Wochen ab Antragseingang beim leistenden Rehabilitationsträger und acht Wochen, wenn eine Teilhabeplankonferenz bei komplexen Fällen nötig ist.
Genehmigungsfiktion
- Wenn nach Ablauf der Frist von zwei Monaten (nach SGB IX) keine schriftliche Mitteilung erfolgt ist und ein Hilfsmittel vor dem Ablehnungsbescheid beschafft worden ist, gilt der Antrag gegebenenfalls als genehmigt (Genehmigungsfiktion nach § 18 SGB IX Erstattung selbstbeschaffter Leistung). Dies gilt allerdings nicht für Träger der Eingliederungshilfe, Träger der öffentlichen Jugendhilfe und Träger des sozialen Entschädigungsrechts (alt: Träger der Kriegsopferfürsorge).